Das Bundesamt für Gesundheit überprüft alle drei Jahre den Höchstpreis jedes Medikaments, das die Kassen zahlen müssen. So senkte die Behörde im Dezember 2018 zum Beispiel bei 1670 Medikamenten die Preise um durchschnittlich 11,5 Prozent. Die Prämienzahler sparten rund 160 Millionen Franken, gleich viel wie im Vorjahr. Das Bundesamt hatte die Medikamentenpreise bereits von 2011 bis 2014 um 570 Millionen Franken gesenkt. Diese Zahlen errechnete der Freiburger Ökonom Josef Hunkeler.
Novartis, Mylan, Pfizer, Sandoz, Vifor – alle ziehen vor Gericht
Anita Geiger vom Branchenverband Interpharma reklamiert die Sparerfolge für sich. Sie sagt, dass die Mitgliedsfirmen durch die Umsetzung der Preissenkungen einen «gewichtigen Beitrag zur Kostendämpfung» leisteten. Fakt ist aber: Die Pharmakonzerne tun das nicht freiwillig. Und: Immer mehr Hersteller wehren sich gegen tiefere Preise. Sie reichten im vergangenen Jahr beim Bundesverwaltungsgericht 35 Beschwerden gegen Preissenkungen bei einzelnen ihrer Medikamente ein. Im Jahr zuvor waren es 27. Zum Vergleich: In der dreijährigen Überprüfungsperiode von 2012 bis 2014 gab es insgesamt nur 62 Beschwerden – also ein Drittel weniger.
Laut dem Bundesamt für Gesundheit hiess das Bundesverwaltungsgericht 5 der 62 Beschwerden gut, in einem Fall kam das Bundesgericht zum gleichen Entscheid. In 14 Fällen lehnten die beiden Gerichte die Beschwerden ab. In weiteren 31 Fällen wies das Bundesverwaltungsgericht die Sache an das Bundesamt für Gesundheit zur Neubeurteilung zurück. Begründung: Das Amt hätte bei der Preisüberprüfung auch ähnlich wirkende Medikamente einbeziehen müssen. In 11 Fällen zogen die Hersteller ihre Beschwerden zurück.
saldo liegt die aktuelle Liste der Beschwerden vor. US-Konzern Pfizer beispielsweise lancierte neun Beschwerden, Generikahersteller Mylan vier und die Vifor AG drei. Novartis wehrt sich gegen zwei Preissenkungen, Sandoz gegen eine. Pfizer klagt etwa wegen des Hormonpräparats Somavert mit einem relativ geringen Jahresumsatz von 80 000 Franken, die japanische Firma Astellas will niedrigere Preise für ihr Anti-Prostata-Krebsmittel Xtandi verhindern.
Neues Schlupfloch mit einem schwammigen «Quervergleich»
Die Hersteller wehren sich schon länger gegen Preissenkungen. Sie erzielten ihren grössten Erfolg Ende 2015: Das Bundesgericht kippte das bisherige Überprüfungsverfahren des Bundesamts für Gesundheit. Die Behörde verglich bis dahin die Schweizer Preise überprüfter Medikamente allein mit denen in europäischen Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder Belgien.
Seit 2017 muss das Bundesamt gemäss dem Urteil des Bundesgerichts neben den Auslandspreisen je zur Hälfte auch die Preise von Produkten berücksichtigen, die bei der gleichen Behandlung ebenfalls zum Einsatz kommen. Für Andreas Schiesser vom Krankenkassenverband Curafutura hat der Bund die neuen Regeln für den sogenannten therapeutischen Quervergleich jedoch «zu schwammig formuliert».
Auch Grégoire Gogniat, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit, bestätigt saldo auf Anfrage, dass es beim therapeutischen Quervergleich heute «zu mehr Diskussionen» komme als früher. Umstritten sei, mit welchen Mitteln man das Ausgangspräparat vergleiche, wie man die Kosten berechne oder ob ein Arzneimittel besser wirke als andere.
Laut dem Ökonomen Josef Hunkeler sind die Beschwerden gegen Preissenkungen bei Herstellern so beliebt, weil sie «kaum etwas kosten, aber Gewinn versprechen». Denn die Preise bleiben bis zum endgültigen Entscheid unangetastet. Zudem beeindrucken die Beschwerden laut Hunkeler das Bundesamt. Die Behörde braucht zum Beispiel mehr Juristen, um die Eingaben zu bearbeiten. Das Amt stockte die Pensen von 200 Prozent im Jahr 2012 auf 600 Prozent im Jahr 2018 auf. Hunkeler vermutet zudem, dass das Bundesamt aus Furcht vor noch mehr Beschwerden das Sparpotenzial bei Preissenkungen oft nicht ausschöpft.
Der Sprecher des Bundesamts, Grégoire Gogniat, widerspricht: «Die Behörde hält sich an die gesetzlichen Grundlagen und hat wenig Spielraum.» Die Zunahme der Beschwerden zeige, dass das Bundesamt sich von deren Anzahl oder durch mögliche neue Beschwerden gerade nicht beeinflussen lasse.
Ausgaben für Medikamente steigen stark an
Die Hersteller gleichen Verluste durch Preissenkungen vor allem mit Mehrverkäufen und mit neuen, teureren Präparaten aus. Folge: Kassen und Prämienzahler müssen fast jedes Jahr mehr für Medikamente ausgeben (saldo 2/2018). 2017 zahlten sie für Medikamente rund 6,7 Milliarden Franken. Das sind 20 Prozent der Gesundheitskosten. Im Jahr 2017 waren es nur 6,5 Milliarden. Das zeigen Zahlen des Tarifpools der Datenfirma Sasis und von Curafutura.