Ein Hausarzt verschrieb im vergangenen Jahr einem Patienten das Medikament Methotrexat. Dieser sollte einmal pro Woche zwei Tabletten nehmen. Als der Patient ins Spital musste, übersah das Personal den Zusatz «pro Woche» in der Liste seiner Medikamente und Dosierungen und verabreichte es täglich.
Das ist kein Einzelfall. Methotrexat ist ein Krebsmedikament, das in niedriger Dosis auch bei Rheuma, Arthritis, Schuppenflechte oder Morbus Crohn helfen soll. Doch immer wieder schlucken oder spritzen sich Patienten das Medikament täglich statt wöchentlich. Von 2016 bis 2022 gab es laut dem Heilmittelinstitut Swissmedic acht Todesfälle, weil Patienten das Mittel zu häufig einnahmen. Seit 2013 zählte Swissmedic 194 solcher Medikationsfehler. 63 der Betroffenen stuften die Folgen als «schwerwiegend» ein. Sie litten an lebensgefährlichem Leberversagen, Herzrhythmusstörungen oder allergischen Reaktionen, die Spitalaufenthalte oder Behinderungen verursachten.
Helmut Paula von der Stiftung Patientensicherheit in Zürich geht von einer gewissen Dunkelziffer aus. Viele weitere Fälle von Patienten in Gefahr würden nicht gemeldet. Im schlimmsten Fall kann ein Fehler tödlich enden: Ein 86-jähriger Mann aus Meilen ZH hatte geschwollene Finger. Gemäss der «Neuen Zürcher Zeitung» rief seine Frau bei seiner Hausärztin an. Sie verschrieb ihm Methotrexat und liess es ihm zuschicken. 18 Tage später starb er.
Apotheken vernachlässigen die Sicherheit
Die Hausärztin stand im Dezember 2022 vor dem Bezirksgericht Meilen. Es ging um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Das Gericht stellte fest, dass sie das Medikament fälschlicherweise täglich statt einmal wöchentlich verordnet hatte. Ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin kam zum Schluss, dass der Tod des Patienten durch die Überdosierung des Medikaments verursacht worden war. Trotzdem sprach der Richter die Ärztin frei. Er war sich nicht sicher, ob der Tod des Patienten nicht doch auch andere Ursachen gehabt haben könnte.
Solche Pannen bei Methotrexat sind kein Zufall, wie eine Studie zeigt. Sie erschien Ende März in der Fachzeitschrift «International Journal of Clinical Pharmacy». Die Autorin befragte im Auftrag der Stiftung Patientensicherheit 257 Apotheken in der Schweiz. Ergebnis: Sie setzen im Durchschnitt nur 6 von 17 möglichen Sicherheitsmassnahmen zu diesem Medikament um. Dabei schulen sie vor allem die Mitarbeiter.
Die Arzneimittelbehörde Swissmedic setzt seit 2016 Massnahmen um, um Fehler zu vermeiden. Man habe etwa eine Warnbox sowie Klebeetiketten auf Verpackungen eingeführt und die Fach- und Patienteninformation verbessert. Ein Swissmedic-Sprecher sagt: Man müsse nun im Alltag konsequent Patienten, Angehörige und Fachpersonen über die Fehlermöglichkeiten aufklären.
Automatische Computersperre bei falscher Eingabe
Helmut Paula hält weitere Massnahmen für nötig, «weil Menschen Fehler machen». Mehr Sicherheit verspricht eine IT-Lösung: Die Computerprogramme von Spitälern, Arztpraxen und Apotheken sollten automatisch eine Sperre auslösen, sobald jemand die tägliche Abgabe von Methotrexat bei Nicht-Krebspatienten in den Computer eingibt. Diese Sicherheitsmassnahme haben gemäss der Studie bisher jedoch nur 3 von 68 Apotheken mit entsprechenden IT-Systemen in ihrer Software installiert.