Rund 67 Millionen Masthühner scharren und picken jährlich in den Ställen der 1200 Schweizer Mäster. Der Grossteil des Federviehs wird nach einer Turbomast von fünf Wochen geschlachtet. In dieser kurzen Lebenszeit fressen sich die ursprünglich 60 Gramm schweren Küken mehr als 2 Kilogramm Gewicht an.
Fast alle Masthühner werden nach den Richtlinien des «Tierwohl-Programms BTS» gehalten. BTS steht für «besonders tierfreundliche Stallhaltung», hat damit aber wenig zu tun. Das Bundesprogramm, für das die Mäster Subventionen erhalten, schreibt nur Tageslicht, erhöhte Sitzgelegenheiten, einen Wintergarten und eingestreuten Boden vor. Auf die Weide kommen die Tiere nicht. Kommt hinzu: Laut Tierschutzverordnung dürfen bis zu 15 ausgewachsene Masthühner auf einem Quadratmeter gehalten werden. Sprich: Ein Huhn hat im Stall gerade einmal den Platz eines A4-Blatts.
RAUS-Ziele bei Masthühnern klar verfehlt
Ein zweites Bundesprogramm trägt den Namen RAUS («regelmässiger Auslauf im Freien»). Die Idee: Lassen die Halter die Tiere auf die Weide, erhalten sie Direktzahlungen. Doch der aktuelle Agrarbericht des Bundesamts für Landwirtschaft zeigt: Nur jedes 14. Huhn hat 2017 eine Weide gesehen – also lediglich 7,3 Prozent aller Mastpoulets sind im RAUS-Programm. Zum Vergleich: 2001 waren es noch knapp 27 Prozent. Konkret heisst das: Von 67 Millionen Masthühnern sehen 62 Millionen pro Jahr nie eine Weide.
Der Bundesrat hatte sich in seiner Botschaft zur Agrarpolitik für das Jahr 2017 noch zum Ziel gesetzt, dass 80 Prozent aller Nutztiere freien Auslauf auf einer Weide haben sollen. Bei Kühen, Pferden, Schafen und Ziegen ist das Ziel laut Agrarbericht 2018 erreicht. Bei den Masthühnern ist man vom Ziel weiter entfernt denn je.
Bei Bell und Micarna haben nur wenige Hühner Auslauf
Die zur Migros gehörende Micarna und die Coop-Tochter Bell sind mit 73 Prozent Marktanteil die zwei grössten Pouletproduzenten der Schweiz. Bei Bell sind nach eigenen Angaben rund 15 Prozent der Tiere Freiland- oder Bio-Poulets mit regelmässigem Auslauf. «Bell beabsichtigt, den Freiland- und Bio-Anteil in der Pouletproduktion weiter zu erhöhen», sagt Sprecherin Sara Heiniger. Ein konkretes Ziel nennt Bell aber nicht. Kann sich Bell einen Auslauf auch ohne RAUS-Gelder vorstellen? Antwort: «Nein.»
Bei Micarna haben nur die Bio-Hühner (4 Prozent) regelmässigen Zugang zu einer Weide. 96 Prozent der Hühner bleiben im Stall und können für kurze Zeit in einen Wintergarten. Gegen RAUS spreche der «verhältnismässig grosse» Flächenbedarf bei der Weidehaltung und die Gesundheit des Geflügels. «Poulets sind im Vergleich zu anderen Nutztieren deutlich anfälliger für übertragbare Krankheiten durch Zugvögel», sagt Micarna-Sprecherin Deborah Rutz.
Bis 2014 habe Micarna die RAUS- Haltung auch bei Mastpoulets unter der Marke Terra Suisse geführt. Das Interesse der Kunden sei «ungenügend» geblieben. Rutz: «Der Mehrwert des Auslaufs ohne biologische Landwirtschaft war für den Kunden nicht nachvollziehbar.»
Ob das Kundenverständnis fehlt, darf bezweifelt werden. Eine stichprobenmässige Umfrage von saldo in Zürich und Olten SO zeigt: Von zwei Dutzend Befragten sagten alle mit einer einzigen Ausnahme, dass sie für Tiere mit regelmässigem Auslauf im Freien mehr zahlen würden.