Lotteriefonds-Gelder: Willkür statt Wohltätigkeit
Die Kantonsregierungen verteilen Geld aus dem Lotteriefonds, wie es ihnen passt – von Gemeinnützigkeit oft keine Spur.
Inhalt
saldo 01/2010
18.01.2010
Letzte Aktualisierung:
19.01.2010
Was haben die Wahlfeier von Bundespräsidentin Doris Leuthard, das Sechseläuten und ein Schwergewichts-Boxkampf gemeinsam? Alle Veranstaltungen haben Unterstützung aus dem Lotterie- oder Sport-Toto-Fonds erhalten und gelten somit als gemeinnützig oder wohltätig. Jedes Jahr verteilen die kantonalen Lotterie- und Sport-Toto-Fonds den Reingewinn von Swisslos und der Loterie Romande an gemeinnützige und wohltätige Projekte aus den Bereichen Kultur, Sport, Natur u...
Was haben die Wahlfeier von Bundespräsidentin Doris Leuthard, das Sechseläuten und ein Schwergewichts-Boxkampf gemeinsam? Alle Veranstaltungen haben Unterstützung aus dem Lotterie- oder Sport-Toto-Fonds erhalten und gelten somit als gemeinnützig oder wohltätig. Jedes Jahr verteilen die kantonalen Lotterie- und Sport-Toto-Fonds den Reingewinn von Swisslos und der Loterie Romande an gemeinnützige und wohltätige Projekte aus den Bereichen Kultur, Sport, Natur und Soziales. Der Betrag lag in den letzten Jahren jeweils bei rund 530 Millionen Franken.
Ob ein Projekt unterstützungswürdig ist oder nicht, entscheidet in der Regel der Regierungsrat. Dabei gönnen sich die kantonalen Regierungen sehr viel Spielraum und verstossen gerne gegen die eigenen Richtlinien. Oberstes Gebot wäre zwar, die Gelder für einen gemeinnützigen oder wohltätigen Zweck zu verteilen. Doch wie gemeinnützig war wohl die Wahlfeier der neuen Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer im November? Die Party mit Nachtessen und Unterhaltung unterstützte der Lotteriefonds mit 220‘000 Franken. Eine Woche später durfte auch Bundespräsidentin Doris Leuthard wohltätig feiern. Für ihr Fest mit 450 Gästen flossen weitere 220‘000 Franken aus dem Aargauer Lotteriefonds.
Zürich spricht 20 Millionen für den Landesmuseum-Neubau
Das Lotteriegesetz schreibt weiter vor, dass die Gelder nicht zur Finanzierung von allgemeinen Staatsaufgaben verwendet werden dürfen. Doch die öffentliche Sicherheit scheint für den Kanton St.Gallen keine allgemeine Staatsaufgabe zu sein. Denn die Regierung hat 225‘000 Franken aus dem Sport-Toto-Fonds für das Projekt «Gewaltfreier Sport als Vergnügen»gesprochen. Ziel ist es, die Sicherheit an Sportveranstaltungen zu verbessern.
Ganz ähnlich der Kanton Solothurn: Massnahmen aus dem Projekt «Prävention Jugendgewalt» finanziert der Kanton aus dem Lotteriefonds. 1,2 Millionen Franken beträgt der Rahmenkredit. Das ärgert die Gemeinden: «So wird die politische Diskussion umgangen», stellt der Verband Solothurner Einwohnergemeinden fest.
Tatsächlich bieten sich Lotteriefondsgelder oftmals an, um unangenehme politische Diskussionen zu vermeiden. So hat der Kanton Zürich 20 Millionen Franken aus dem Lotteriefonds für den Landesmuseum-Neubau gesprochen. «Die ordentliche Bewilligung öffentlicher Gelder wurde bewusst umgangen, damit kein Referendum ergriffen werden kann», behauptet das gegnerische Komitee «Standpunkt Landesmuseum». Es hat eine Stimmrechtsbeschwerde eingereicht, die noch hängig ist.
Und noch ein weiteres Mal hat sich Zürich grosszügig gezeigt, wo es laut den Richtlinien eigentlich gar nicht erlaubt wäre, und zwar beim Beitrag von 100‘000 Franken an die Europride. Dies ist das grösste gesellschaftspolitische Schwulen-Festival Europas. Die Lotteriefonds-Richtlinien besagen jedoch klar, dass keine Projekte mit politischem, konfessionellem oder ideologischem Inhalt Unterstützung erhalten.
Geld für Boxkämpfe, Firmenumsiedlungen und Golfplätze
Weitere Beispiele für wohltätige oder gemeinnützige Projekte, die aus dem Lotteriefonds Geld erhalten haben:
- Der Kanton Aargau hat dem Nanotech-Jungunternehmen Heiq 900‘000 Franken aus dem Lotteriefonds überlassen, damit es in den Kanton zieht.
- Für den Gastauftritt am Zürcher Sechseläuten hat der Kanton Solothurn 500‘000 Franken aus dem Lotteriefonds lockergemacht.
- Basel hat den Schwergewichts-WM-Kampf im Boxen mit 50‘000 Franken unterstützt.
- Zürich hat für das West-Fest zur Eröffnung der Westumfahrung eine halbe Million Franken aus dem Lotteriefonds beigesteuert. Auch Zug und Aargau stellten je 300‘000 Franken Lotteriefonds-Gelder zur Verfügung. Bezahlt wurde davon unter anderem die Gage von 250‘000 Franken für den Auftritt von DJ Bobo.
- Ein nobler Golfclub hat aus dem Sport-Toto-Fonds des Kantons Luzern 80‘000 Franken für die Sanierung des Platzes erhalten. Eine Mitgliedschaft im Club kostet 40‘000 Franken.
- Die englischsprachige Zurich International School mit Sitz in Baden AG hat eine Anschubfinanzierung von 130‘000 Franken aus dem Lotteriefonds erhalten. Weiter hat der Regierungsrat für die ersten vier Jahre eine Defizitgarantie von je 100‘000 Franken zugesagt.
- Thurgau hat einen Beitrag von 3000 Franken für die Habilitationsschrift «Moskau bauen von Lenin bis Chruschtschew» gesprochen. Dem Werk fehlt offenkundig ein Bezug zum Kanton Thurgau, wie das die Richtlinien vorschreiben.
Die Kantone bedienen sich nach Gutdünken aus dem Lotteriefonds-Kässeli. Die Baselbieter Regierungsrätin Sabine Pegoraro bestätigt, dass die Kantone ihre Kriterien zur Verteilung selbst festlegen können. Sie ist Präsidentin der Fachdirektorenkonferenz, in der die für den Lotteriemarkt und das Lotteriegesetz zuständigen Regierungsmitglieder der Kantone sitzen. Vorgegeben ist für sie lediglich, dass die Gelder für gemeinnützige und wohltätige Zwecke verwendet werden. Zudem ist die Unterstützung öffentlich-rechtlicher gesetzlicher Verpflichtungen ausgeschlossen.
Gemeinnützige Projekte: Kantone müssen Vergabepraxis erläutern
Doch Pegoraro bestreitet, dass der Spielraum für die Kantone zu gross sei: «Die unterschiedlichen Verteilkriterien erlauben es, die Gegebenheiten im jeweiligen Kanton zu berücksichtigen.» Zudem gehe die Lotterie- und Wettkommission (Comlot) Fällen nach, in denen Gelder ausserhalb des vorgesehenen Rahmens verwendet würden.
Manuel Richard, stellvertretender Geschäftsführer der Comlot, bestätigt, dass man in den letzten Jahren mehrere unterstützte Projekte auf die Gemeinnützigkeit oder Wohltätigkeit hin untersucht hat. Von den betroffenen Kantonen hat die Comlot Angaben zur Vergabepraxis verlangt. Konkrete Beispiele nennt Richard aber vorsichtigerweise nicht.