Frauenlöhne sind aktuell oft Anlass für Schlagzeilen in den Medien. So titelte zum Beispiel der «Tages-Anzeiger» vor ein paar Wochen: «Verdienstgefälle in der Schweiz: Frauen verdienten im Durchschnitt 18,4 Prozent weniger.» Der Artikel bezog sich auf eine Erhebung des Bundesamts für Statistik.
Gemäss dieser jüngsten Lohnerhebung seien die «Frauenlöhne noch immer um fast ein Fünftel tiefer als die Männerlöhne», folgerte die «Südostschweiz». Schwarz sah auch das «Bündner Tagblatt»: «Frauenlöhne: Schweiz sieht schlecht aus. Der Lohnunterschied zwischen Frau und Mann ist in der Schweiz grösser als im Schnitt Europas.»
Ein Leserbrief in der «Luzerner Zeitung» zeigt, wie tief die vermeintliche Lohndiskriminierung in den Köpfen der Frauen verankert ist: «Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, die Löhne der Männer an die Frauenlöhne anzupassen?», fragte eine Leserin aus Küssnacht SZ.
Die Vermutung einer Diskriminierung der Frauen beim Lohn beruht auf Zahlen des Bundesamts für Statistik. Demnach verdienten Frauen 2020 im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer.
In der Privatwirtschaft betrug die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen 19,5 Prozent. Je nach Branche variieren die Unterschiede stark: Im Gastgewerbe betrugen sie 8,7 Prozent, im Detailhandel 17,3, in der Maschinenindustrie 21,5 und im Kredit- und Versicherungsgewerbe 32,4.
Anders sieht es im öffentlichen Sektor bei Bund, Kantonen und Gemeinden aus: Dort sank der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern auf 15,1 Prozent.
Nicht alle lohnrelevanten Aspekte berücksichtigt
Die Zahlen des Bundesamts beruhen auf der Lohnstrukturerhebung. Dabei handelt es sich um eine stichprobenweise Befragung von Unternehmen und Verwaltungen, die alle zwei Jahre durchgeführt wird.
Die Fragen umfassen nicht alle Kriterien, die für den Lohn in einem Betrieb massgebend sind. Angeben müssen Arbeitgeber zwar Alter, Branche, Berufsart und Ausbildungsniveau. Es wird aber nicht gefragt, ob jemand Geschäftsleiter ist oder einfach eine Abteilung leitet. Und es wird zwar die Anzahl Dienstjahre abgefragt – aber nicht die Berufserfahrung insgesamt.
Das kritisiert die Basler Arbeitsmarktökonomin Conny Wunsch in einem Interview mit der NZZ vom 30. Januar. Die Zeitung machte sich als einziges Medium die Mühe, die Aussagen des Bundesamts kritisch zu hinterfragen. «Die tatsächliche Berufserfahrung wird nicht erhoben, obwohl sie für den Lohn eine entscheidende Rolle spielt», sagt die Professorin der Uni Basel. Ob jemand beim Eintritt in das Unternehmen zwanzig oder nur fünf Jahre Erfahrung habe, sei in der Lohnstrukturerhebung nicht berücksichtigt. Deshalb könne die Lohndifferenz nicht automatisch mit Lohndiskriminierung gleichgesetzt werden.
Grössere Betriebe müssen Lohngleichheit nachweisen
Einen ganz anderen Ansatz als die Lohnstrukturerhebung verfolgt die Lohngleichheitsanalyse: Seit 2020 müssen Unternehmen mit über 100 Angestellten alle vier Jahre ihre Löhne auf Ungleichheiten überprüfen und die Resultate von einer unabhängigen Stelle bestätigen lassen. Eine erste Auswertung durch das Bundesamt für Justiz ist 2025 geplant.
Vergleichen lassen sich die Ergebnisse der beiden Methoden nicht: Die Resultate der Lohnstrukturerhebung zeigen ein Gesamtbild auf Ebene der Wirtschaftszweige. Die Lohngleichheitsanalyse bezieht sich auf die Lohnverhältnisse eines bestimmten Unternehmens.