Mittwochmorgen an der Opelstrasse 3 in der Grenzstadt Konstanz: Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Autolenker parkieren ihre Fahrzeuge mit Schweizer Nummernschildern vor dem Gebäude und betreten die Lagerhalle der Firma «Lieferadresse-Konstanz». Drinnen reiht sich Metallgestell an Metallgestell, beladen mit Hunderten von Paketen. An einem Schalter kümmern sich die Angestellten um die Kunden. Sie fragen nach Namen und Ausweis und händigen die via «Lieferadresse-Konstanz» bestellten Pakete gegen eine Gebühr aus. Pakete bis 99 Zentimeter Länge kosten 5 Euro, grössere 10 Euro. Sperriges und Schweres kostet zusätzlich. Die Abläufe wirken professionell durchorganisiert.
Angefangen hat alles 2009. Damals wurde die Konstanzerin Mandy Klein von einem Bekannten gefragt, ob sie für den Schweizer Schauspieler Walter Andreas Müller ein Paket in Empfang nehmen könnte. Sie sagte zu. Aus einem privaten Gefälligkeitsdienst wurde bald mehr. Als ihr ein Auftraggeber anbot, für die Annahme und Aufbewahrung eines Pakets etwas zu bezahlen, war die Geschäftsidee geboren.
Die quirlige Frau und ihr Mann lagerten dann die für die Schweizer Kunden gelieferten Pakete in der gemeinsamen Altstadtwohnung beim Bahnhof Konstanz. Als der Eurokurs ins Rutschen kam, war in der Wohnung bald kein Durchkommen mehr, und die Pakete nahmen auch das Treppenhaus in Beschlag. «Wenn man täglich 100 bis 200 Leute in der Wohnung hat, sorgt das nicht gerade für Wohlbehagen», erinnert sich Mandy Klein. Vor drei Jahren konnte das Ehepaar ein Ladenlokal im Erdgeschoss eines Altstadthauses mieten. Seit gut zwei Jahren hat die «Lieferadresse-Konstanz» an der Opelstrasse im Konstanzer Industriegebiet einen zweiten Standort.
Mandy Klein und ihr Mann gaben ihre ursprünglichen Jobs auf. Umsatzzahlen will die 46-jährige Chefin keine nennen. Immerhin: Das Unternehmen hat heute 14 Angestellte. Die Kundendatenbank umfasse rund 30 000 Namen.
«Mit Löhnen und Mieten lassen sich die Preise nicht erklären»
Zu ihren Kunden gehört auch die 31-jährige Andrea Vuillème aus Wetzikon ZH. Sie ist an diesem Vormittag nach Konstanz gefahren, um sieben Pakete abzuholen. Die Mutter zweier Kleinkinder hat bei einem deutschen Internetshop Artikel fürs Kinderzimmer bestellt. Der Shop weigerte sich, in die Schweiz zu liefern. Deshalb wählte sie den Umweg über die deutsche Lieferadresse.
Mischa Doblhofer aus Erlen TG holt ein Schärfgerät für Sägeketten und eine spezielle Schleifscheibe ab. «In der Schweiz würde ich dafür vier bis fünf Mal so viel bezahlen», hat er recherchiert. Durch das Abholen spare er sich zudem hohe Zollgebühren.
Die meisten Kunden, die saldo anspricht, wollen Namen und Wohnort nicht preisgeben. Zu gross ist die Angst, dass Nachbarn und Freunde erfahren, dass sie in Deutschland einkaufen. Eine 33-jährige Frau erklärt, sie wohne in einem Dorf in der Nähe von Frauenfeld TG. Die soziale Kontrolle sei hoch. Beim Bau ihres Hauses setzte sie noch auf teurere Schweizer Handwerker. Die Innenausstattung bezieht sie nun aber aus Deutschland. Wegen der überhöhten Preise in der Schweiz plage sie kein schlechtes Gewissen. Sie kaufte in Deutschland eine Waschmaschine für 660 Franken. Für dasselbe Modell hätte sie in der Schweiz 3500 Franken hingeblättert. «Mit Schweizer Löhnen und Mieten lässt sich das nicht mehr erklären.»
Mandy Klein schätzt, dass 98 Prozent ihrer Kunden in der Schweiz wohnen. Sie kommen vor allem aus der benachbarten Ostschweiz, vereinzelt aber auch aus dem Kanton Bern oder gar der Westschweiz. Private machen klar die Mehrheit der Kundschaft aus. Es gibt aber auch Unternehmen, die sich Ware nach Konstanz liefern lassen.
«Ich erledige den Import selber»
Dazu gehört Danny Bökle. Er betreibt in Müllheim TG eine Autowerkstatt für Liebhaberautos und Oldtimer. Er bestellt oft übers Internet Autoersatzteile, die in der Schweiz nicht erhältlich sind. Mit der Schweizer Post machte er wiederholt schlechte Erfahrungen: lange Wartezeiten, hohe Verzollungskosten und manch ein Paket kam geöffnet bei ihm an. Deshalb fährt der 37-Jährige nun einmal pro Woche nach Konstanz und erledigt den Import selbst.
Im Durchschnitt werden jeden Tag rund 700 Pakete an die beiden Standorte der «Lieferadresse-Konstanz» geliefert. Rund um Weihnachten sind es massiv mehr. Zehn Postdienstleister – von der Deutschen Post über Hermes bis Fedex – steuern zum Teil mehrmals täglich die beiden Lieferadressen an. Soeben ist ein Lastwagen des Paketdienstes DHL an der Opelstrasse vorgefahren. Der Chauffeur schiebt fünf mit Paketen voll beladene Rollwagen in die Lagerhalle. Fünf Mitarbeiter nehmen die gegen 250 Pakete in Empfang.
Sie lesen die Sendungsnummern der Pakete ein und teilen den Adressaten in der Schweiz per E-Mail mit, dass ihr Paket angekommen ist. Auf den Kartons notieren sie Ankunftsdatum, Empfängername und Abholpreis. Schliesslich ordnen sie die Pakete alphabetisch. Nur die ganz grossen Pakete und Sperrgut legen sie separat ab. Laut Vize-Chef Christian Weissenbach gibt es fast nichts, was sich die Leute nicht liefern lassen. «Autos, Gartenhäuser, Tiere, Pflanzen und Boote waren schon dabei. Bloss ein LKW und eine Segeljacht fehlen noch.»
Populäre Lieferadressen
Viele ausländische Internethändler liefern nicht in die Schweiz. Deshalb werden Lieferadressen im Ausland immer beliebter.
Wer eine Lieferadresse möchte, registriert sich bei einer der deutschen Firmen. Manche haben mehrere Filialen – immer in Grenznähe. Danach kann man bei ausländischen Versandhäusern, Internetläden oder Auktionsplattformen diese Lieferadresse angeben. Sobald die Ware eingetroffen ist, sendet die Lieferadressenfirma ein E-Mail oder SMS. Für den Empfang und die Lagerung verlangt sie eine Gebühr.
Manche Lieferadressen bieten eine Weiterleitung als Zusatzdienstleistung an (zum Beispiel Meineinkauf.ch).
Eine Auswahl an Lieferadressen und Weiterleitungsdiensten:
Fair-Preis-Initiative: Weg mit dem Schweiz-Zuschlag!
Die Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel – für faire Preise» (Fair-Preis-Initiative) will dafür sorgen, dass Schweizer Unternehmen Produkte bei ausländischen Herstellern und Importeuren zu gleichen Preisen wie Abnehmer im Ausland beziehen dürfen. Heute beliefern internationale Konzerne die Schweiz über ihre Filialen oder Alleinimporteure zu überhöhten Preisen. Gleichzeitig versuchen sie zu verhindern, dass Konsumenten und Unternehmen im Ausland direkt und günstig einkaufen können.
Unterschriftenbögen: www.saldo.ch oder saldo, Fair-Preis-Initiative, Postfach 431, 8024 Zürich