Leichtes Spiel für Bio-Betrüger
In Italien flog vor kurzem ein Skandal um gefälschte Bio-Waren auf. Ob Schweizer Konsumenten betrogen wurden, ist offen. Der Fall offenbart die Schwächen des Bio-Kontrollsystems.
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saldo 01/2012
13.01.2012
Letzte Aktualisierung:
17.01.2012
Eric Breitinger
Noch immer lagern Tonnen von angeblichen Bio-Futtermitteln aus Italien in Schweizer Silos. Die Kantonschemiker haben diese im Dezember für den Bio-Handel gesperrt, bis die Importeure die Echtheit der Zertifikate beweisen.
Hintergrund: Im Dezember flog eine Fälscherbande in Italien auf. Die Polizei verhaftete sieben Personen. Sie sollen über die Veroneser Bio-Handelsfirma Sunny Land im grossen Stil konventionelle Ware als teurere Bio-Produkte verkauft haben. Fal...
Noch immer lagern Tonnen von angeblichen Bio-Futtermitteln aus Italien in Schweizer Silos. Die Kantonschemiker haben diese im Dezember für den Bio-Handel gesperrt, bis die Importeure die Echtheit der Zertifikate beweisen.
Hintergrund: Im Dezember flog eine Fälscherbande in Italien auf. Die Polizei verhaftete sieben Personen. Sie sollen über die Veroneser Bio-Handelsfirma Sunny Land im grossen Stil konventionelle Ware als teurere Bio-Produkte verkauft haben. Falsch deklarierte Lieferungen gingen laut der italienischen Polizei unter anderem nach Deutschland, Frankreich und Österreich. Ob die Schweiz betroffen ist, ist nicht geklärt. Die verdächtige Firma hat seit Jahren an Schweizer Abnehmer angebliche Bio-Ware geliefert.
Die Mitglieder von Bio Suisse, dem Dachverband der schweizerischen Bio-Produzenten, importierten nach eigenen Angaben in den letzten zwei Jahren 5200 Tonnen Futtermittel und 1870 Tonnen Weizen und Sonnenblumenkerne. Laut Bio-Suisse-Sprecherin Sabine Lubow handelt es sich dabei nicht um «gefälschte Bio-Ware». Der Verband stützt sich auf eigene Tests. Ihnen zufolge enthielt die Ware keine Pestizidrückstände. Bio Suisse beruft sich zudem auf sein strenges Überwachungsregime, das Zusatzkontrollen gegenüber den Bio-Richtlinien der EU vorsieht. Bio Suisse könne so «jeden Produktionsschritt eines Knospe-Produkts von der Heu- bis zur Essgabel nachprüfen».
Schwierige Kontrolle von ausländischer Bio-Ware
Adrian Wiedmer von der Bio- und Faitrade-Firma Gebana wirft Bio Suisse vor, das Risiko, gefälschte Ware zu verkaufen, herunterzuspielen: «Ein grosser Teil konventioneller Produkte enthält ebenfalls keine Pestizide. Daher beweisen Tests über Rückstände nichts.» Das wisse Bio Suisse. Wiedmer kritisiert zudem, dass sich Bio Suisse «auf die Papiere eines mutmasslichen Hehlers verlässt. Die Dokumente können gefälscht sein.» Er geht davon aus, dass gefälschte Sunny-Land-Ware in die Schweiz gelangte und Konsumenten dafür überhöhte Preise zahlten.
Skeptisch gegenüber der Bio-Suisse-Version zeigt sich auch Daniel Imhof, Kantonschemiker der Urkantone. Er bescheinigt Bio Suisse zwar ein im Inland gut funktionierendes Kontrollsystem, zweifelt aber an den Kontrollen im Ausland: «Je weiter die Wege, desto weniger kontrollierbar die Bio-Ware.» Bio Suisse gibt an, an einer raschen Aufklärung des Falles interessiert zu sein.
Der Fall offenbart Schwächen des italienischen Kontrollsystems. Laut sichergestellten Dokumenten betrieben die Betrüger den Schwindel von 2007 bis Mitte 2010 – ohne aufzufliegen. Auch die zusätzlichen Bio-Suisse-Kontrollen änderten daran nichts. So kursierten in der Bio-Szene seit längerem Gerüchte über unsaubere Sunny-Land-Praktiken. Bio Suisse suspendierte Sunny Land nach eigenen Angaben 2010 für sechs Wochen als Knospe-Betrieb, da diese pestizidbelastete Bio-Ware in die Schweiz geliefert hatte. Nach der Klärung des Falls nahm Bio Suisse Sunny Land wieder als Knospe-Lieferanten auf.
«Unregelmässigkeiten kommen bei 5 Prozent der Produkte vor»
Adrian Wiedmer kritisiert die Kontrollen von Bio Suisse als «Schönwettersystem: Es beruht auf Vertrauen und ist zu wenig auf Betrüger ausgerichtet. Es lässt sich leicht ausnutzen.» Bio Suisse beschränkt sich in der Regel auf Papierkontrollen, indem man Berichte der staatlich akkreditierten privaten Kontrollstellen prüft. Diese zertifizieren Bio-Betriebe vor Ort und besuchen jeden Betrieb nach Ankündigung einmal im Jahr.
Heikel wird es, wenn Kontrollstellen unkorrekt arbeiten. Bei Sunny Land sollen Mitarbeiter der zuständigen Kontrollstelle für Chargen konventioneller Ware falsche Bio-Dokumente ausgestellt haben. Zwei Ex-Mitarbeiter der Zertifizierungsstelle sind zurzeit in Haft.
Der lukrative Bio-Handel lockt immer wieder Betrüger an. Beate Huber, Betrugsexpertin beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick AG, geht davon aus, dass im Bio-Landbau in der Schweiz und der EU «bei 5 Prozent der Produkte Unregelmässigkeiten vorkommen». Nur ein Teil davon seien absichtliche Täuschungsversuche. Laut Medienberichten mischt Neapels Camorra im Bio-Markt mit. Die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete vor kurzem, dass sich in der Volksrepublik Bio-Bescheinigungen «nach Belieben» für ein paar Tausend Dollar kaufen lassen. Ein Bio-Bauer erklärte, mehrere kleinere Zertifizierungsfirmen hätten ihm angeboten, all seine Produkte zu zertifizieren, die bei der Prüfung einer seriösen Kontrollstelle durchgefallen seien. China liefert 60 Prozent des in die Schweiz importierten Bio-Sojas.
Auch viele andere in der Schweiz verkauften Bio-Produkte und verarbeiteten Bio-Rohstoffe stammen aus dem Ausland. Die Migros gibt den Anteil mit 50 Prozent an. Coop schätzt die ausländischen Zutaten bei Produkten seiner Bio-Linie Naturaplan auf 40 Prozent.
Für Experten ist klar, dass der internationale Bio-Markt mehr staatliche Aufsicht und mehr verbindliche Standards braucht. Stephan Dabbert von der deutschen Uni Hohenheim hat in einem EU-Projekt das Öko-Kontrollsystem der EU erforscht. Sein Schluss: «Die Behörden müssen überall in Europa vergleichbare Standards für die Überwachung der Kontrollstellen verwenden. Hier hapert es.» Zudem sollten Kontrollstellen vorrangig «Risikounternehmen» überwachen. Wer einmal gegen Normen verstossen hat, tut dies oft nochmals. Nicht zuletzt gelte es, die Kommunikation über Bio-Verstösse unter Behörden und Kontrollstellen zu verbessern. So erfuhr Bio Suisse nach eigenen Angaben vom jüngsten Skandal erst aus den Medien.
Am sichersten: Beim Bio-Bauern in der Nähe einkaufen
Auch für Kantonschemiker Imhof steht fest: «Im internationalen Bio-Handel genügen Papierkontrollen nicht.» Er fordert mehr unangekündigte Kontrollen vor Ort. So veranlasste Bio Suisse 2010 zwar eine unangekündigte Kontrolle bei einem Sunny-Land-Zulieferer, unterliess aber weitere Extrabesuche.
Betrugsexpertin Beate Huber rät Konsumenten, die sichergehen wollen, beim Bio-Bauern in der Nähe einzukaufen: «Das bietet am meisten Sicherheit.» Als Alternative empfiehlt sie den Einkauf bei Unternehmen, welche die volle Rückverfolgbarkeit ihrer Bio-Produkte garantieren und offenlegen. So können Konsumenten auf www.bio-inspecta.ch Zertifikate Schweizer Bio-Betriebe einsehen. Weiter geht das Projekt «Bio mit Gesicht» von deutschen Anbietern wie Demeter und Tegut. Käufer können mit einem Produktecode und der Website www.bio-mit-gesicht.de den Weg ihrer Äpfel oder Eier bis zum Bauernhof zurückverfolgen. In diesem Punkt kann Bio Suisse noch dazulernen.