Ramon Untersander aus Utzigen bei Bern ist erst 31 Jahre alt – und hatte schon fünf Gehirnerschütterungen. Der Eishockeyspieler vom SC Bern zog sich erst kürzlich wieder eine zu: Anfang Februar knallte er an den Olympischen Spielen in Peking mit dem Kopf in die Bande. Bei einem solchen Aufprall drückt das Gehirn von innen gegen die Schädeldecke. Dabei werden Nervenzellen geschädigt oder zerstört.
Das spürte auch Untersander. Er spielte zwar zuerst noch weiter, doch bald war ihm klar: «Irgendetwas stimmt mit meinem Kopf nicht.» Tagelang war ihm danach schwindlig und übel. «In Räumen mit vielen Menschen fühlte ich mich unwohl.» Er reiste frühzeitig aus China ab. Er weiss noch nicht, wann er wieder in der Lage sein wird, weiterzuspielen.
Spezialisten halten mehr als zwei Tage Ruhe für übertrieben
Viele Sportler erleiden Gehirnerschütterungen. Besonders häufig betroffen sind Skifahrer, Mountainbiker, Fussball- und Eishockeyspieler. Doch noch immer behandeln Ärzte Gehirnerschütterungen falsch – indem sie zu lange Ruhe verordnen.
Auch die 44-jährige Rebecca Cornelia Forster aus Oberbipp BE machte diese Erfahrung. Sie war bei einem Sturz mit der rechten Kopfseite auf den Asphalt aufgeschlagen. Die Hausärztin riet ihr, sich zu schonen – die Heilung «brauche einfach ihre Zeit». Doch auch noch Wochen später leidet sie an Übelkeit und Schwindel. Wenn sie zu schnell aufsteht, telefoniert, den Kopf zu schnell bewegt oder den Boden wischt, verstärken sich die Beschwerden sofort.
Die Neurologin Nina Feddermann von der Schulthess-Klinik in Zürich sagt: «Eine zu lange Ruhezeit nach einer Gehirnerschütterung schadet Patienten.» Mehr als 48 Stunden Ruhe könnten die Heilung verzögern. Schonen Betroffene sich länger, können die Beschwerden schlimmer oder sogar chronisch werden.
Eine Studie der Universität Michigan Neurosport (USA) mit 126 Teilnehmern zeigte 2019: Patienten, die sich schnell wieder bewegten, waren nach durchschnittlich 26 Tagen beschwerdefrei. Ohne Bewegung dauerte es 9 Tage länger. Die Forscher veröffentlichten die Studie in der Fachzeitschrift «Clinical Journal of Sport Medicine». Leitlinien der britischen Gesundheitsbehörde, der US-amerikanischen Neurologen sowie zahlreicher Rugby-, Fussball- und Eishockey-Sportverbände empfehlen seit langem, dass Betroffene schnell wieder aufstehen sollten. Die Schweizerische Neurologische Gesellschaft schloss sich dem vor zwei Jahren an. Doch Neurologin Feddermann sieht noch viel Potenzial: «Die neuen Erkenntnisse haben sich in der Schweiz noch nicht überall durchgesetzt.»
Mit Spazieren, Wandern oder Schwimmen beginnen
Bei der aktiven Therapie fängt man nach 48 Stunden an, sich stufenweise wieder zu belasten. Besonders ein leichtes Ausdauertraining erwies sich als förderlich. Experten empfehlen anfangs 10 bis 15 Minuten leichte Bewegung. Das können Spazieren oder Walken sein, Velofahren auf dem Ergometer oder Schwimmen. Verschlechtern sich die Beschwerden während dieser Aktivitäten nicht, steigert man schrittweise die Dauer und Intensität, bis man sein ursprüngliches Pensum erreicht.
Zusätzlich gibt es gezielte Übungen für die verschiedenen Beschwerden bei einer Gehirnerschütterung. Bei Schwindel zielen sie auf den Gleichgewichtssinn. Bei Nackenschmerzen lockert und stärkt man die Muskeln. Diese Übungen macht man unter der Anleitung eines Spezialisten.
Auch Ramon Untersander ist bereits wieder aktiv. Neben seinem Therapieprogramm geht er jeden Tag spazieren oder fährt Velo. «Ich konnte mich schon etwas steigern.» Er hofft, dass er bald wieder zurück aufs Eis kann.
Das sind die Alarmsignale
- Nach vorübergehender Bewusstlosigkeit oder wiederholtem Erbrechen: Lassen Sie sich sofort von einem Arzt untersuchen.
- Klären Sie Gedächtnislücken, Verwirrtheit, Schwindel oder Sehstörungen sofort beim Arzt ab.
- Nehmen Sie ohne Absprache mit dem Arzt keine Schmerzmittel oder Schlaftabletten ein.
- Ruhen Sie sich während zwei Tagen aus.
- Reduzieren Sie in dieser Zeit den Handy-, Computer- und Fernsehkonsum.
- Trinken Sie in dieser Zeit keinen Alkohol und lenken Sie kein Auto.
- Wenn sich die Beschwerden nicht innerhalb einer Woche bessern, sollten Sie einen Arzt konsultieren.