Der Stuhl der beklagten Partei bleibt leer. Aus Bern bemühte sich niemand in den Thurgau. Der Einzelrichter am Bezirksgericht Weinfelden erklärt, die Inkassostelle der Eidgenössischen Finanzverwaltung verzichte auf eine Teilnahme an der Verhandlung.
Nun ist es an der 40-Jährigen, ihre Klage zu begründen. Zum Auftakt überreicht sie der Gerichtsschreiberin ein Dossier: «Vorn finden Sie das Plädoyer, dann eine Auflistung der Beweismittel.» Violett markiert sind die verschiedenen Akteure, grün die involvierten Amtsstellen. Rot steht für Zeugen. Und mit Blick zur Seite stellt sie ihre Begleiterin vor: «Eine Freundin, die mir hier beisteht.»
Die Klägerin kommt gleich zur Sache. Es gehe um einen Verlustschein über 2810 Franken, ein Relikt ihres gescheiterten Abstechers ins Unternehmertum vor mehr als fünf Jahren. Nun versuche der Staat, das Geld erneut einzutreiben. «Es besteht aber keine Grundlage für die Forderung», sagt die Frau. Deshalb verlangt sie vom Gericht die Feststellung, dass sie der Finanzverwaltung nichts schuldet.
Die Klägerin spricht von «volksferner Administration»
Zur Vorgeschichte: Die Thurgauerin war selbständig erwerbend. Ihren Kleiderladen musste sie vor sieben Jahren aber aufgeben. Es kam zu Betreibungen und Verlustscheinen. Die Finanzverwaltung mache nun geltend, sie habe eine Insolvenzentschädigung der Arbeitslosenversicherung von 2810 Franken an eine Angestellte ausbezahlt. Falsch, sagt die 40-jährige Lehrerin: «Dahinter steckt ein Betrug, es bestand nie ein Arbeitsverhältnis mit dieser Frau.» Die Betreffende habe das bloss behauptet, um an Geld zu kommen. Ein Arbeitsvertrag existiere nicht, Lohn sei nie bezahlt worden. Die Arbeitslosenkasse habe diese Frage nie richtig abgeklärt. Mit ihr hätten die Beamten «dieser volksfernen Administration» nie gesprochen.
Die Frau schildert detailreich, was damals aus dem Ruder lief. Aufgrund eines plötzlichen Spitalaufenthalts habe sie sich achteinhalb Wochen nicht ums Geschäft kümmern können: «Man hat meinen Krankheitszustand ausgenutzt», macht sie geltend. Sie verlor das Geschäftslokal, weil Zahlungen während des Spitalaufenthalts nicht klappten. Dem Laden war die Existenzgrundlage entzogen.
Klein beigeben kam für die gescheiterte Unternehmerin aber nicht in Frage. Sie ging jobben, auch wenn dabei zu Beginn nicht viel Einkommen herausschaute. Inzwischen ist sie wieder im angestammten Beruf als Lehrerin tätig. Sie werde «mindestens bis zur Pensionierung Schulden abstottern müssen». Für die 2810 Franken aber gebe es keine Grundlage. «Helfen Sie einer Familie, zur Ruhe zu kommen, helfen Sie, auch finanziell Gerechtigkeit zu schaffen», appelliert die Klägerin zum Schluss ihres fast einstündigen Plädoyers.
Der Einzelrichter zeigt sich ungerührt. Er will wissen, wie denn das Verhältnis zur angeblich nicht angestellten Frau gewesen sei. Die Frau habe viel Zeit bei ihr im Geschäft verbracht, antwortet die Klägerin. Sie sei psychisch labil gewesen und habe so Kontakt und eine Tagesstruktur gefunden. «Hat sie mitgeholfen?», hakt der Richter nach. Rumgetigert sei sie und habe unnötigerweise Sachen hin und her gerückt. Mitgeholfen habe sie einzig an zwei Events und sei dafür in Naturalien entschädigt worden.
Nach einer Pause folgt das Urteil: der Einzelrichter heisst das Begehren der Lehrerin gut und stellt fest, dass sie der Eidgenossenschaft nichts schuldet. Zentraler Punkt: «Ein Arbeitsverhältnis ist nicht genügend dargelegt.» Es gebe zwar Anhaltspunkte, die dafür sprächen. Doch die Unterlagen aus Bern seien dürftig. Das reiche bei weitem nicht als Beweis.
Die Gerichtskosten von 800 Franken werden der Eidgenossenschaft auferlegt. Sie muss der Lehrerin zudem 300 Franken Prozessentschädigung zahlen.
So wehrt man sich gegen unberechtigte Forderungen
Gegen einen Zahlungsbefehl kann man sich ganz einfach wehren: innert 10 Tagen nach Erhalt des Zahlungsbefehls mündlich oder schriftlich gegenüber dem Betreibungsamt Rechtsvorschlag erheben. Das kostet nichts, die Forderung gilt so als bestritten. Auf Klage des Gläubigers kann ein Gericht diesen Rechtsvorschlag beseitigen. In dieser Situation gibt es für Schuldner noch eine Verteidigungsmöglichkeit gegen eine ungerechtfertigte Betreibung: Sie können eine Aberkennungsklage einreichen. Eine solche schafft umgekehrte Verhältnisse: Der Schuldner klagt gegen den Gläubiger. Dieser muss beweisen, dass seine Forderung berechtigt ist.