Kompliziert und schwer zu verstehen: In winziger Schrift steht auf den Danonino-Joghurtquarks, dass in 100 Gramm Quark 10,3 Gramm Zucker oder 0,09 Gramm Salz stecken. Unklar ist, was das zu bedeuten hat.
Verständlicher ist die neue Deklaration des französischen Danone-Konzerns: Oben rechts steht auf der Verpackung der «Fruchtzwerge» ein Signet mit fünf farbigen Balken von Grün bis Rot und Buchstaben von A bis E. Beim Quark ist der zweite, hellgrüne Balken dicker als die anderen. Das Gleiche beim Hüttenkäse «All I want» von Danone. Beim Pudding «Danette» dagegen sticht der mittlere, gelbe Balken hervor. Ein dunkelgrüner Balken steht für ein eher gesundes Produkt. Es enthält vergleichsweise viele gute Nährwerte wie Eiweiss, Ballaststoffe, Obst, Gemüse und Nüsse. Ist ein roter Balken hervorgehoben, enthält das Produkt relativ viel Zucker, Salz oder unerwünschtes Fett. Gelb liegt zwischendrin. Das System verrechnet erwünschte und unerwünschte Inhaltsstoffe im Produkt miteinander und kommt so auf eine Gesamtpunktzahl. Nutri-Score vergleicht stets die Vertreter der gleichen Produktegruppe miteinander. Danone verspricht, bis Ende 2020 sein ganzes Sortiment mit der Ampel auszuzeichnen.
Die neue Kennzeichnung wurde vom französischen Ernährungswissenschafter Serge Hercberg entwickelt (siehe Interview rechts). Er sagt: «Die Ampel ist ein sehr guter Weg, um Konsumenten zu helfen, bewusst gesündere Lebensmittel auszuwählen. Sie bringt Hersteller dazu, ihre Rezepturen anzupassen und gesündere Fertigprodukte herzustellen». Danone spricht von «einer leicht verständlichen Hilfe beim Einkaufen».
Das System ist in Frankreich bereits gut etabliert
Frankreich hat Nutri-Score vor zwei Jahren eingeführt. Die Teilnahme ist freiwillig. Neben Danone machen aber bereits viele Hersteller und Supermarktketten mit. Anders in der Schweiz: Coop, Migros, Denner und Manor liessen über ihren Verband IG Detailhandel mitteilen, was sie von der Ampel halten: nichts. Sie behaupten, sie würden ihre Kunden bereits über kritische Inhaltsstoffe wie Zucker oder Salz aufklären. Aldi Suisse plant «derzeit keine Einführung» der Ampel und favorisiert eine «einheitliche Lösung auf europäischer Ebene». Lidl sagt, man verfolge die Entwicklung.
Der Verband der Schweizerischen Nahrungsmittelindustrien lehnt die Ampel ebenfalls ab. Sie vereinfache ein komplexes Thema zu sehr. Zudem würden die Konsumenten auf den Verpackungen bereits «umfassende Informationen» erhalten.
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit sieht das anders: Nutri-Score unterstütze Konsumenten bei einer «gesunden Wahl» der Esswaren. Die bisherigen Nährwertangaben auf der Rückseite der Verpackung würden dazu nicht ausreichen.
So funktioniert die Deklaration
Beim Bewertungssystem werden unerwünschte und erwünschte Nährelemente miteinander
verrechnet.
Aus den Gesamtpunkten wird der entsprechende Buchstabe abgeleitet.
Für den Kunden ist aber letztlich nur die Farbgebung entscheidend. Grün steht für gesunde Lebensmittel, Rot für ungesunde.
«Die Ampel schafft mit einem Blick Klarheit»
Der französische Ernährungswissenschafter Serge Hercberg hat Nutri-Score erfunden. Er zieht eine positive Bilanz.
saldo: Wie viele Unternehmen in Frankreich deklarieren die Lebensmittel mit der Ampel von Nutri-Score?
Serge Hercberg: Über 110. Sie machen 20 Prozent des Marktes aus. Darunter sind Supermärkte wie Intermarché, Auchan oder Leclerc. Macht ein Unternehmen mit, muss es all seine Produkte kennzeichnen. Rosinenpickerei dulden wir nicht. Die Unternehmen haben zwei Jahre Zeit für die Umstellung. Auch in Belgien und Deutschland kennzeichnen einige Hersteller Lebensmittel mit Nutri-Score.
Auf jeder Tiefkühlpizza steht heute bereits, wie viel Kohlenhydrate, Fett und Vitamine im Produkt stecken. Braucht es das Ampelsystem noch?
Die bisherige Kennzeichnung ist zu kompliziert. Konsumenten müssen am Supermarktregal alle Nährwertdeklarationen miteinander vergleichen. Beim Ampelsystem hat man mit einem Blick Klarheit.
Kaufen Konsumenten aufgrund der Ampel gesünder ein?
Ja. Wir beobachteten zum Beispiel das Einkaufsverhalten von rund 300 000 Kunden in über 60 Supermärkten. Nutri-Score war das wirksamste Deklarationssystem. Sind die Produkte damit gekennzeichnet, enthielt der Einkaufskorb im Durchschnitt mehr gesündere Lebensmittel als sonst. Konsumenten kaufen Produkte mit weniger Salz und Fett, wenn sie die Wahl zwischen mehreren Waren haben. Das Ampelsystem zeigte die beste Wirkung
bei Haushalten mit dem geringsten Einkommen.
Firmen, die ungesunde Produkte anbieten, können einfach nicht mitmachen. Kann die Ampel auf freiwilliger Basis funktionieren?
Uns wäre eine obligatorische Lösung lieber gewesen als die jetzige. Die EU hat das aber im Jahr 2010 verboten – auch aufgrund der massiven Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie. Nun sind die Konsumenten Schiedsrichter. Sie können Produkte ohne Ampel einfach nicht mehr kaufen.
Warum macht in der Schweiz bisher nur Danone mit?
Danone ist ein Vorreiter. Ich hoffe, dass die Schweizer Regierung offiziell das Ampelsystem unterstützt. Dann werden weitere Unternehmen folgen.