Einige chemische Substanzen können sich aus einer Dose, einem Deckel oder der Plastikfolie lösen und in das Lebensmittel gelangen. Eine neue Schweizer Studie weist nun nach: Fünf Substanzen sind hier besonders heikel. Darunter sind vier Weichmacher. Hersteller verwenden sie, um PVC geschmeidig zu machen. Mit dem fünften – Methylendianilin – stellen sie Kunststoffe wie Polyamid her.
Jane Muncke ist Mitautorin der Studie und Geschäftsführerin der Stiftung Food Packaging Forum in Zürich. Sie fordert: «Diese Stoffe müssen raus aus allen Lebensmittelpackungen.»
Methylendianilin kann Krebs auslösen. Die Weichmacher können das Hormonsystem schädigen und die Fortpflanzung stören. Laut einzelnen Studien sind sie krebserregend. Sie stehen auf der Liste der «besorgniserregenden Stoffe» der Chemikalienverordnung und des EU-Chemikalienregisters REACH. Hersteller dürfen sie nur eingeschränkt in Alltagsprodukten verwenden. Sie sollen bald ganz aus Computern, Farben oder Geräten verschwinden. Nur in Verpackungen bleiben sie erlaubt. Grund: Lebensmittelverpackungen sind von den Chemikaliengesetzen der Schweiz und der EU ausgenommen. Muncke fordert die Aufnahme.
Roger Meuwly vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit entgegnet: «Die Regulierung reicht aus.» Weichmacher seien nur in wenigen Anwendungen erlaubt. Für sie gelten Grenzwerte. Das Bundesamt sagt zudem: Die Industrie verzichte weitgehend auf ihren Einsatz. Kantonschemiker würden nur selten zu hohe Belastungen beanstanden.
Das ist nur die halbe Wahrheit. Das Bundesamt räumt selbst ein, dass die Kantonschemiker entsprechende Produktetests zurückgefahren haben.
Nicht deklarierte heikle Stoffe in vielen Verpackungen
Die meisten Läden verkaufen weiterhin Lebensmittel, ohne heikle Inhaltsstoffe in der Verpackung zu deklarieren. Einige Beispiele:
Käse im Offenverkauf: Das Verkaufspersonal verpackt Käse im Offenverkauf häufig in Klarsichtfolie. Sie enthält oft PVC, inklusive Weichmacher. Diese sind fettlöslich und gehen leicht in den Käse über. Das kantonale Labor Zürich testete laut Geschäftsbericht im letzten Jahr elf in PVC verpackte Käseproben von vier Grossverteilern. Bis auf eine Ausnahme enthielten alle davon höhere Mengen an Weichmachern als zulässig. In sechs Fällen fanden die Kantonschemiker so viel Weichmacher, dass sie «eine Gesundheitsgefährdung» der Konsumenten nicht ausschlossen.
Antipasti oder Pesto im Glas: Der Dichtungsring im Deckelinneren enthält häufig PVC. Kommt er länger mit dem Öl in Kontakt, in das etwa Tomaten oder Artischocken eingelegt sind, lösen sich Weichmacher aus dem PVC. 2013 ergab eine europaweite Stichprobe des Zürcher Kantonslabors, dass 29 Prozent der getesteten Produkte den Grenzwert überschritten (saldo 13/2014). Der «K-Tipp» liess 24 Antipasti im Glas testen – nur die Dichtungen von drei Produkten waren unbedenklich («K-Tipp» 1/2016).
Kochlöffel aus Polyamid: Das Kantonslabor Zürich fand 2011 heraus, dass Kochutensilien aus Polyamid und Melaminharz «bei hohen Temperaturen chemische Stoffe ins Essen abgeben können». Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung stellte fest, dass entsprechende Kochlöffel in siedend heissem Sauerkraut doppelt so viel Melamin abgeben wie erlaubt. Melamin schädigt die Nieren.
Laut Jane Muncke könnten die Grossverteiler durch ihre Marktmacht bei ihren Lieferanten den Verzicht auf heikle Materialien durchsetzen. Bei Eigenprodukten wäre dies ohnehin möglich.
Grossverteiler stellen nur zögerlich um
Globus, Aldi und Lidl erklären, die gesetzlichen Mindeststandards bei den Verpackungen einzuhalten. Coop und Globus benützen keine PVC-Folien für offenen Käse. Spar und Migros wollen folgen. Die Migros hat bei einigen Produkten auf PVC-freie Dichtungen umgestellt: Antipasti im Glas der Marke Polli, Saucen von Agnesi sowie «Bio Salsa pomodoro mit Basilikum» und «Bio Salsa di pomodoro Verdure». Die Migros deklariert Polyamid und Melamin in Kochutensilien. Spar nahm letztes Jahr die vom «K-Tipp» beanstandeten «Pomodori secchi» aus dem Sortiment. Die Deckel der «Champignons» von Hugo Reitzel seien umgestellt, nicht aber die des Eigenprodukts «Premium Artischocken». Laut Coop enthalten die Deckel von vier vom «K-Tipp» getesteten Produkten jetzt kein PVC mehr. Die «Cuori di Carciofini» stelle man im Herbst um.
Es geht auch anders: Nestlé Schweiz hat die fünf heiklen Stoffe in allen Verpackungen eliminiert.