Ein Rundgang in der Gemüseabteilung des Detailhandels zeigt: Das angebotene Gemüse ist meist makellos. Nicht eine Laus ist am Salat, die Fenchel sind alle gleich gross, die Rüebli schnurgerade, und eines gleicht dem anderen.
Ein Gemüsebauer aus dem Raum Schaffhausen zeigt saldo Rüebli, die der Handel nicht abnimmt. Einzelne weisen einen Riss auf, andere haben am Kopf ein kleines Frassloch oder sind nicht bolzengerade gewachsen. Die Rüebli wären ohne weiteres geniessbar. Doch bereits kleine Fehler im Aussehen sorgen dafür, dass das Gemüse nicht im Laden, sondern auf dem Komposthaufen landet.
Markttaugliches Gemüse muss 13 Mindestanforderungen erfüllen
Das liegt an den strengen Vorgaben, welche die Gemüseproduzenten und der Gemüsehandel festlegten. Gemäss den «Schweizerischen Qualitätsbestimmungen für Gemüse» muss ein markttaugliches Rüebli «gleichmässig in Form und Farbe», «nicht deformiert», «ohne Flecken und Verfärbungen», «nicht gebrochen, nicht angeschnitten» und maximal 24 Zentimeter lang sein.
Insgesamt muss es 13 Mindestanforderungen, sieben besondere Bestimmungen sowie Vorgaben an Grösse und Gleichmässigkeit erfüllen. So sind in diesem Regelwerk für 107 Gemüsesorten unzählige Anforderungen bis ins Detail definiert.
Ein Bauer aus dem Kanton Zürich erzählt saldo, dass er vor vier Jahren die Ernte eines ganzen Rüeblifeldes nicht an den Detailhandel verkaufen konnte, weil die Rüebli länger als die erlaubten 24 Zentimeter waren. Und ein Berner Bauer kompostierte im letzten Sommer die Ernte eines ganzen Zucchettifelds von anderthalb Hektaren. Auch dieses Jahr landeten bei ihm viele Zucchetti auf dem Komposthaufen statt im Laden. Grund: Sie waren grösser, als die Vorschriften des Handels erlaubten.
Der kleinste Makel führt zur Ablehnung durch den Handel
Das Problem: Bauern finden für Gemüse, das für den Detailhandel zu wenig schön oder zu gross ist, kaum einen anderen Absatzkanal, erklärt Markus Waber, stellvertretender Direktor des Gemüseproduzentenverbands, im Gespräch mit saldo. Die Lebensmittelindustrie, die das Gemüse verarbeite, nehme überschüssige Ware nicht ab, da sie schon genügend Gemüse von den Bauern beziehe, mit denen sie Lieferverträge habe.
Die befragten Bauern sagen übereinstimmend: Wenn es genug Ware auf dem Markt habe, sei dem Handel jeder kleinste Makel recht, um das Gemüse abzulehnen. Für die Bauern lohne es sich dann vielfach nicht einmal, das Gemüse zu ernten – auch wenn sie bereits viel Arbeit, Dünger und Pestizide in die Produktion gesteckt haben. Dabei spielt es keine Rolle, dass das Gemüse bedenkenlos konsumierbar wäre.
In einer ETH-Studie über vermeidbare Lebensmittelverluste aus dem Jahr 2019 schätzen Wissenschafter des Instituts für Umweltingenieurwissenschaften, dass in der Schweiz pro Jahr 75'000 Tonnen essbares Gemüse direkt auf den Gemüseäckern kompostiert wird. Das sind 11,6 Prozent des produzierten Frischgemüses und 16,1 Prozent des Lagergemüses. Die Hauptgründe für die Verschwendung sehen die Wissenschafter in den strengen Vermarktungsvorschriften sowie bei den Marktüberschüssen.
Weder Swisscofel, der Verband der Händler, noch der Verband der Produzenten VSGP wollen die Höhe der Verluste auf dem Feld kommentieren. Immerhin: Anfang Juni lockerten die beiden Verbände die Vorschriften leicht. So darf der Salat etwa neu ein kleines braunes Rändchen aufweisen. Und der Blumenkohl wird von den Händlern nicht mehr nur «weiss», sondern auch «leicht gelblich» akzeptiert.
Swisscofel-Direktor Christian Sohm warnt aber vor einer zu schnellen Lockerung der optischen Vorschriften. Er glaubt, die Konsumenten würden die Produkte mit Fehlern im Aussehen im Laden liegen lassen.
Die jährliche Vernichtung von rund 75'000 Tonnen geniessbarem Gemüse kostet die Steuerzahler Millionen Franken. Denn die Gemüsebauern erhalten für jede Hektare, auf der sie Gemüse produzieren, Beiträge zur Versorgungssicherheit sowie Beiträge für allfällige ökologische Mehrleistungen.
Millionen von Steuerfranken für vernichtetes Gemüse
Subventionen erhalten die Bauern auch für die rund 1000 bis 2000 Hektaren Land, auf dem sie Gemüse produzieren, das nie in den Laden kommt. Denn die Landwirte planen bereits beim Anbau einen Ausschuss von rund 15 bis 20 Prozent in ihre Kalkulation mit ein. Die Steuerzahler finanzieren so Jahr für Jahr die Produktion von Ausschussware mit Subventionen in der Höhe von rund drei bis vier Millionen Franken.