Schweizer Konsumenten achten auf die Herkunft von Waren: 43 Prozent der Bevölkerung bevorzugen Schweizer Produkte. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des St. Galler Professors Sven Reinecke. Dafür bezahlen sie laut Bundesrat bis 20 Prozent mehr als für entsprechende Produkte ohne Kreuz.
Der Bundesrat weiss also vom Mehrwert der Schweizer Produkte. Er schlug deshalb verschiedene Gesetzesänderungen vor, welche die Marke Schweiz stärken sollten. «Die Swissness-Gesetzgebung hat das Ziel, den Wert des Labels ‹Schweiz› nachhaltig zu sichern», schrieb er im erläuternden Bericht zum neuen Markenschutzgesetz.
In jahrelangen Debatten im Parlament wurde die Swissness-Vorlage stark verwässert. Nächstes Jahr tritt sie in Kraft. Vor allem die Lebensmittelindustrie erreichte über diverse Vorstösse, dass die neue Gesetzgebung nicht zu streng ausfiel.
Verschiedene Stände- und Nationalräte waren sich schliesslich einig: Die Swissness-Gesetzgebung sei ein Rohrkrepierer. «Es wurde noch nie so viel und derart aggressiv lobbyiert», sagt zum Beispiel der parteilose Schaffhauser Ständerat Thomas Minder.
Mit den neuen Swissnessregeln beschäftigt haben sich auch die beiden Zürcher Rechtsanwälte Markus Kaiser und Michael Noth. Sie kommen in ihrer Analyse in einem im «Jusletter» erschienenen Fachartikel zum Schluss: «Die neuen Regeln sind stark politisch motiviert und das Ergebnis verschiedener Lobbyanstrengungen». Die wirtschaftlichen Interessen seien höher gewichtet worden, als das Interesse der Konsumenten an Transparenz. Das neue Recht verletze teilweise das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, nämlich «das Wahrheitsgebot und das Täuschungsverbot».
Einige Beispiele, was nach neuem Recht alles mit der Angabe «Herkunft Schweiz» und dem Schweizerkreuz verkauft und beworben werden darf:
Unbearbeitete Naturprodukte
Sie dürfen mit «Herkunft Schweiz» verkauft werden, wenn sie in der Schweiz geerntet wurden. Dazu gehören auch Grenzgebiete in Deutschland und Frankreich sowie das Fürstentum Liechtenstein (siehe unten).
80-Prozent-Regel
Lebensmittel dürfen das Schweizerkreuz tragen, wenn mindestens 80 Prozent des Gewichts Zutaten aus der Schweiz sind. Diese müssen aber nicht unbedingt vollständig in der Schweiz verarbeitet worden sein, sondern nur soweit die Verarbeitung «dem Lebensmittel seine wesentliche Eigenschaft verleiht». Bei der 80-Prozent-Regelung gilt: Naturprodukte, die in der Schweiz nicht vorkommen, werden bei der Rechnung nicht berücksichtigt. Das bedeutet: Weil in der Schweiz keine Kakaobohnen wachsen, darf auch eine Tafel Schokolade die Schweizer Flagge tragen, obwohl Schweizer Zucker und Milch nur 30 Prozent des Zutatengewichts ausmachen. Oder: Mangosaft darf als Schweizer Fruchtsaft angepriesen werden, sofern die Mangos in der Schweiz verarbeitet werden und eine minime Zutat aus der Schweiz verwendet wird – etwa Zucker.
«Temporärer Mangel»
Die gleiche Regelung gilt für Lebensmittel aus Naturprodukten, die «temporär in der Schweiz nicht in genügender Menge vorhanden sind». Das bedeutet: Eine Konfitüre aus Erdbeeren darf auch dann als schweizerisch verkauft werden, wenn darin enthaltene Früchte aus dem Ausland stammen, sofern die Erdbeerenernte wetterbedingt gering ist. Das Gleiche gilt für Pommes-Chips, wenn die Kartoffelernte in der Schweiz wegen Schädlingen tiefer ausfallen würde.
«Tiefe Selbstversorgung»
Die Schweizer Zutaten müssen die 80-Prozent-Grenze nicht erreichen, wenn ein Lebensmittel Rohstoffe mit tiefem Selbstversorgungsgrad in der Schweiz enthält. Diese werden in der Rechnung nur halb oder gar nicht berücksichtigt. Beispiel: Haselnussguetsli können als Schweizer Produkt verkauft werden, auch wenn die Haselnüsse aus der Türkei stammen.
Regionsangaben
Das neue Recht erlaubt, dass Bündnerfleisch weiterhin unter diesem Namen verkauft werden darf, auch wenn das Fleisch hauptsächlich aus dem Ausland stammt. Es darf nächstes Jahr aber nicht mehr als Schweizer Fleisch verkauft werden.
Auch auf andere regionale Herkunftsangaben wird kein Verlass mehr sein: Wenn ein Produkt als schweizerisch verkauft werden darf, darf es zusätzlich einen Hinweis auf eine Region enthalten («Berner Rösti»), selbst wenn es damit in keinerlei Zusammenhang steht.
Industrielle Waren
Sie dürfen künftig als schweizerisch beworben werden, wenn mindestens 60 Prozent des Wertanteils in der Schweiz anfällt. Darunter werden Materialkosten und Anfertigungskosten gerechnet, aber auch Kosten für Forschung, Entwicklung, Qualitätssicherung und Zertifizierungen – im Vergleich zum bisherigen Recht eine Verwässerung.
Diese Bestimmung gilt neu auch für Uhren. Bisher durfte eine Uhr nur dann als schweizerisch bezeichnet werden, wenn das Uhrwerk aus der Schweiz stammte. Neu müssen nur 60 Prozent der Herstellungskosten des Uhrwerks in der Schweiz anfallen, und nur 50 Prozent des Wertes der Bestandteile des Werks müssen aus der Schweiz stammen.
Dienstleistungen
Sie dürfen neu auch als schweizerisch verkauft werden, wenn der Betrieb zu 100 Prozent Ausländern gehört, sofern sich der Sitz und eine Verwaltungsabteilung in der Schweiz befinden. Die deutsche Fluggesellschaft «Swiss» darf sich also weiterhin als schweizerisch bezeichnen.
Schweizer Milch aus Frankreich, Deutschland und Österreich
Auch landwirtschaftliche Produkte aus Frankreich können ab 1. Januar 2017 als Schweizer Lebensmittel vermarktet werden. Die Swissness-Verordnung hält fest, dass Naturprodukte wie Salate oder Milch aus den französischen Zollfreizonen um Genf die Herkunftsangabe «Schweiz» verwenden dürfen. Die französischen Zonen Gex und Hoch-savoyen umfassen ein Gebiet von 547 Quadratkilometern und sind somit doppelt so gross wie der Kanton Genf.
Französische Bauern in den Freizonen produzieren nach französischem Lebensmittelrecht. Dennoch dürfen sie die in die Schweiz eingeführten Naturprodukte mit der Herkunftsangabe Schweiz kennzeichnen.
Auch Schweizer Bauern, die seit dem 1. Januar 2014 Böden in Grenzgebieten der Nachbarländer ununterbrochen bewirtschaftet haben, dürfen diese Naturprodukte mit schweizerischen Herkunftsangaben versehen. Das betrifft beispielsweise grenznahe Gebiete in Deutschland und Österreich.
Bereits heute werden unter dem Label «Suisse Garantie» Landwirtschaftsprodukte aus dem Ausland verkauft («K-Tipp» 11/15). So verarbeitet in Genf die Molkerei Laiteries Réunies Genève jährlich 23 Millionen Liter Milch von französischen Bauern aus den Freizonen. Zu den Hauptkunden der Molkerei zählen Coop, Migros und Manor. Künftig dürfen Milch und Milchprodukte der Molkerei ganz offiziell die Herkunftsbezeichnung Schweiz tragen.