Der orange Knirps ist die beliebteste Kürbissorte der Schweiz. Dennoch verrotten die Kürbisse zurzeit zuhauf auf den Feldern. Die Grossverteiler verkaufen nur Exemplare, die 1 bis 1,5 Kilo schwer sind. Die Natur aber macht sie auch grösser und kleiner. Sie wiegen bei der Ernte zwischen 0,5 und 3 Kilo. Folge: 30 bis 50 Prozent der Knirpse bleiben auf dem Feld zurück und werden dort vernichtet. Dieses enorme Ausmass der Verschwendung bestätigen mehrere grössere Kürbisproduzenten gegenüber saldo.
Darauf angesprochen, schiebt die Migros die Verantwortung an die Kunden ab. Man verkaufe das, was «eine reelle Verkaufschance» habe. Das bedeutet: Kunden wollen angeblich nur makelloses Gemüse. Coop sagt, man sei grundsätzlich bestrebt, den Gemüsebauern «die Ernte grösstmöglich abzunehmen».
Die Läden wollen also nur Gemüse verkaufen, das strengen optischen Anforderungen genügt. Zu kleine Kürbisse und krumme Rüebli gehören nicht dazu. Gemäss einer ETH-Studie aus dem Jahr 2019 verrotten jedes Jahr 75'000 Tonnen essbares Gemüse direkt auf dem Feld. Der Handel lehnt den Verkauf ab, weil es angeblich von den Kunden abgelehnt werde oder weil ein Überangebot besteht (saldo 14/2023).
Coop und Migros sagen, sie würden auch Nicht-Standard-Gemüse verkaufen. Die Migros schreibt von 4000 Tonnen Kartoffeln und Rüebli zweiter Klasse, die sie über M-Budget in den Verkauf bringe. Coop vermarktet nach eigenen Angaben unter der Eigenmarke Ünique 1750 Tonnen krummes Gemüse. Das sind zusammen aber nur knapp 8 Prozent des Gemüses, das auf den Schweizer Feldern verrottet.
Krummes Gemüse fehlte in vier von neun Coop-Filialen
Ein Augenschein in verschiedenen Coop-Läden zeigt, warum der Grossverteiler so wenig Nicht-Standardgemüse verkauft. In vier von neun besuchten Filialen in Aarau, Biel, Luzern, Neuenburg, Olten und Zürich bot Coop gar kein Ünique-Gemüse an. In fünf Filialen fand saldo nur vereinzelte Gemüsekisten mit Nicht-Standard-Ware. Kommt dazu: In der grossen Coop-Filiale auf der Bahnhofbrücke in Zürich verkaufte Coop die krummen Ünique-Zucchetti im Gemüsemix für Fr. 2.95 pro Kilo sogar teurer als die Standardware für Fr. 2.80. Die weniger schönen Ünique-Peperoni waren mit Fr. 3.20 pro Kilo gleich teuer wie die Standardware. Coop sagt dazu, krumme Karotten seien in über 500 Verkaufsstellen erhältlich.
Auch etliche Grosshändler, die das Gemüse rüsten und liefern, sträuben sich gegen die Nicht-Standard-Ware. saldo sprach mit Händlern und Grosskunden. Tenor: Der Aufwand sei höher. Preis und Verdienst hingegen seien kleiner. Ein Händler weigerte sich, bei einem Bauern solches Gemüse zu holen. Solange es genug Normgemüse gibt, verkaufen Händler lieber teureres Gemüse.
Die Firma Olanga aus Brugg AG gründete im vergangenen Jahr einen Marktplatz im Internet, um die Vermarktung von krummem Gemüse trotzdem voranzubringen. Dort bieten Gemüsebauern nicht normierte Ware an, den Preis bestimmen sie selbst. Die Preise sind in der Regel 10 bis 30 Prozent günstiger als bei normaler Ware. Das Angebot ist nicht für Privathaushalte gedacht. Kunden sind Grossküchen wie Kantinen, Caterer oder Lebensmittelverarbeiter.
Grossküchen haben weniger Berührungsängste
Die Grossküche der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten bestellt regelmässig auf Olanga.ch. Sie produziert täglich um die 650 Mahlzeiten. Gastronomieleiter Andreas Schütz sagt: «Via Olanga profitieren wir von saisonalen preiswerten Angeboten in top Bio-Qualität.» Falls die Angebote mal nicht in den Menüplan passen würden, stelle man damit Eingemachtes wie Chutney, Mixed Pickles oder Ähnliches her. Auch die Küche des Kantonsspitals Frauenfeld und das Gastrounternehmen Hiltl arbeiten mit Olanga zusammen.
Olanga fragte auch die Grossverteiler an, ob sie auf der Plattform mitmachen wollten. Coop sagte ab. Eine definitive Antwort der Migros steht noch aus.
Bauernverband steht abseits
Das Bundesamt für Umwelt will die Lebensmittelverschwendung bis im Jahr 2030 halbieren. Dazu startete es im Mai einen Aktionsplan. 28 Unternehmen und Verbände wollen Massnahmen ergreifen, um die Verschwendung zu reduzieren. Grosser Abwesender ist der Bauernverband.
Laut Bundesamt entstehen pro Jahr knapp 200'000 Tonnen oder 13 Prozent aller vermeidbaren Lebensmittelverluste in der Landwirtschaft. Der Bauernverband schreibt saldo, man werde die Vereinbarung erst unterzeichnen, wenn sich auch die Konsumentenorganisationen am Aktionsplan beteiligen: «Leider ist die Stufe der Konsumenten nicht mit an Bord.»
Die Stiftung für Konsumentenschutz, die grösste Schweizer Konsumentenorganisation, wurde laut eigenen Angaben gar nicht eingeladen, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Das sei den Organisationen aus der Lebensmittelbranche vorbehalten.