Kürzlich titelte der «Blick» gross: «Es geht uns besser, als wir meinen.» Inhalt der Story: Vor zehn Jahren habe die Börse geboomt. Die Banken hätten fette Gewinne eingefahren. Ein Jahr später seien nach der Bankenkrise ganze Volkswirtschaften am Abgrund gestanden. Seither habe die Schweiz einen Drittel der Industriejobs verloren und die Grossbank UBS retten müssen. Die Finanzkrise sei zwar nicht ausgestanden, heisst es im «Blick» weiter, aber: «Der Schweiz geht es besser als vor zehn Jahren.» Laut Chefredaktor Christian Dorer zeigen die Zahlen sogar: Den Schweizern geht es so gut wie noch nie.
Die «Blick»-Leser glauben das nicht so recht: «Wieso stimmt mein Umfeld nicht mit den Zahlen überein?», fragt ein Leser aus Bern auf der «Blick»-Website. Ein anderer ist überzeugt, dass es inzwischen viel mehr Menschen gibt, die unter dem Existenzminimum leben. Der Mittelstand müsse den Gürtel «deutlich enger schnallen». Roland Rohrbach aus Binningen BL erinnert daran, dass viele über 50-Jährige entlassen worden sind: «Der ‹Blick› schreibt immer wieder Sachen, die realitätsfremd sind», ärgert er sich.
saldo macht den Faktencheck
Geht es den Schweizern nun besser oder schlechter als vor zehn Jahren? saldo hat sich in Statistiken vertieft. Fazit: Die Leute haben heute weniger Geld im Portemonnaie als vor zehn Jahren, die Armut nahm zu. Das sind die entscheidenden Zahlen:
Krankenkassenprämien: Die Standardprämie für Erwachsene mit einer Franchise von 300 Franken stieg von 2007 bis 2016 von jährlich 3756 Franken auf 5137 Franken – eine Steigerung um 36,8 Prozent. Auch die Ausgaben für die Jahresfranchise und den Selbstbehalt gingen steil nach oben: plus 31,1 Prozent.
Wohnkosten: Innert zehn Jahren zahlten Mieter für ihre Wohnung 22,8 Prozent mehr. Das zeigt der Angebotsindex des Beratungsunternehmens Wüest Partner. Wer Wohneigentum erwerben will, benötigt ein dickes Eigenkapitalpolster. Denn die Preise sind in den letzten zehn Jahren explodiert – um 49,1 Prozent (Index des Beratungsunternehmens Iazi).
Steuern: Seit 2011 zahlt die ganze Bevölkerung höhere Mehrwertsteuern. Der Normalsatz stieg um 0,4 auf 8 Prozent, der reduzierte Satz auf 2,5 Prozent. Mehrwertsteuern sind unsozial, weil sie Leute, die das gesamte Einkommen für den Lebensbedarf ausgeben müssen, viel stärker trifft. Auch bei den direkten Steuern ist die Belastung grösser: Die Haushalte zahlten 2014 im Vergleich zu 2007 exakt 14,7 Prozent mehr Steuern. Die Bevölkerung wuchs im selben Zeitraum aber nur um 8,4 Prozent.
Löhne: Die Löhne sind zwar höher als vor zehn Jahren. Aber nicht in dem Ausmass, in dem die Kosten zunahmen. Von 2007 bis 2015 stiegen die Medianlöhne der Angestellten nur um 6 Prozent auf 68 900 Franken pro Jahr. Medianlohn heisst: die Hälfte der Angestellten verdient mehr, die andere Hälfte weniger. Bei den Selbständigen erhöhte sich das Medianeinkommen in der gleichen Periode um 5,2 Prozent auf 63100 Franken pro Jahr. Zwischen den Berufsgruppen gibt es grosse Unterschiede. Angestellte Handwerker legten um 4 Prozent zu. Selbständige in der Dienstleistungs- und Verkaufsbranche nur um 2,4 Prozent. Kaum eine Rolle spielt die Teuerung: Im Jahresmittel von 2007 bis 2016 beläuft sie sich auf 0,4 Prozent.
Arbeitslosigkeit: Die Erwerbslosenquote erhöhte sich in den letzten zehn Jahren laut Bundesamt für Statistik von 3,6 auf 4,3 Prozent. Diese Statistik erfasst auch ausgesteuerte Personen.
Armut: Wenn die Löhne weniger stark steigen als die Ausgaben, nimmt insgesamt die Armut zu. Das zeigt sich vor allem bei den Ergänzungsleistungen zur AHV und IV: Die Ausgaben schnellten von 2007 bis 2015 um 47,3 Prozent auf 4,8 Milliarden Franken pro Jahr hoch. Die Zahl der Bezüger stieg um 22,8 Prozent auf 315 000 Personen. Bei der Sozialhilfe erhöhten sich die Ausgaben zwischen 2007 und 2014 um 38,5 Prozent.