In den Ställen stehen immer mehr Milch-Hochleistungskühe. Besonders verbreitet sind die Rassen Holstein und Red Holstein. Spitzentiere geben bis zu 16 000 Liter Milch pro Jahr. Die durchschnittliche Milchleistung einer normalen Milchkuh beträgt etwa 6600 Liter pro Jahr.
Um stetig Milch zu produzieren, müssen die Kühe jedes Jahr ein Kalb gebären. Das Problem: Die Kälber von Hochleistungskühen setzen kaum Fleisch an. Damit sind sie für Mäster und Metzger wirtschaftlich nicht interessant.
Immer mehr Jungtiere von Hochleistungskühen landen deshalb schon wenige Wochen nach der Geburt auf der Schlachtbank. Das zeigen Zahlen der sogenannten Tierverkehrsdatenbank des Bundesamts für Landwirtschaft. Erfasst sind die Geburten und Schlachtungen sämtlicher Rinder seit dem Jahr 2000.
Das Fleisch der Kälber landet in Würsten oder Brät
Im letzten Jahr kamen 3938 Kälber von Hochleistungskühen der Rassen Holstein und Red Holstein innerhalb der ersten zwei Lebensmonate in die Schlachthöfe – ein Rekord. Rund 1250 dieser Kälber waren zum Zeitpunkt der Schlachtung noch nicht mal einen Monat alt. Das Fleisch von solch jungen Kälbern landet in Würsten oder Brät.
Auffallend: 93 Prozent der geschlachteten Kälber waren männlich. Sprecherin Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband räumt ein, dass für junge Stiere von Milch-Hochleistungskühen «ein kleiner Bedarf» besteht. Die Situation könnte laut Bauernverband entschärft werden, wenn der Preis für Kälber steigen würde. Helfenstein: «Für ein 30 bis 40 Tage altes und 65 Kilo schweres Kalb von Hochleistungskühen gibt es keine 100 Franken mehr.»
Ähnlich argumentiert das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Sprecherin Eva van Beek: «Der grosse wirtschaftliche Druck und die Arbeitsbelastung auf den Betrieben machen die Mast dieser Kälber wenig attraktiv.» Obwohl die Kälber immer früher geschlachtet werden, sieht das Bundesamt keinen Handlungsbedarf: «Zurzeit erwägen wir keine Massnahmen.»
Über 8000 Kälber «im ersten Lebensmonat verendet»
Noch stossender: Viele Kälber schaffen es nicht einmal in den Schlachthof. Gemäss der Tierverkehrsdatenbank meldeten die Bauern im letzten Jahr 8243 Kälber der Rassen Holstein und Red Holstein als «im ersten Lebensmonat verendet».
Andreas Hitz, Präsident des Schweizerischen Holsteinzuchtverbands, sagt dazu offen: «Treten bei oder nach der Geburt beim Kalb Komplikationen auf, überlegt sich der Landwirt zweimal, ob sich der Tierarzt lohnt.» Diese Kosten würden den Wert des Kalbs schnell übersteigen.
Damit nicht genug: Ge-mäss Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz töten manche Landwirte neugeborene Kälber eigenhändig und entsorgen sie. Samuel Graber, Präsident des Schweizer Kälbermäster-Verbands, sagt: «Kälber von Hochleistungskühen gelten bei manchen Bauern als Abfallprodukt. Wenn die Bauern mit den Kälbern nicht weiterzüchten wollen, sind diese Tiere nicht mehr viel wert.»
«Das Töten ist gesetzlich geregelt und zulässig»
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen sieht auch das gelassen. «Das Töten von Jungtieren ist gesetzlich geregelt und zulässig, wenn die Tötungsmethode nicht tierquälerisch ist und von einer fachkundigen Person ausgeführt wird.»
Nutztiermediziner Adrian Steiner nennt eine Lösung für das Problem: «Wir brauchen Kühe im Stall, die sowohl genügend Milch geben als auch Kälber gebären, deren Fleisch nutztiergerecht produziert werden kann.» Dies würde nicht nur den Kälbern helfen, sondern auch den Milchkühen, die vermehrt unter leistungsbedingten Krankheiten leiden (saldo 2/13).