Es ist bereits 8 Uhr, die Gerichtsverhandlung sollte beginnen. Doch der Beklagte ist noch nicht aufgetaucht. Sein ehemaliger Angestellter, ein sportlicher 30-Jähriger, verdreht die Augen. Schon beim Friedensrichter sei das so gewesen, sagt er. 15 Minuten verstreichen, vom Ex-Chef ist noch immer nichts zu sehen.
Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Weinfelden TG eröffnet die Verhandlung und stellt fest, dass der Beklagte unentschuldigt fehlt. Er bittet den ehemaligen Angestellten, seine Forderung von 14 250 Franken plus ein Arbeitszeugnis zu begründen.
Der Kläger holt weit aus, erzählt von grosser Leidenschaft und brutaler Enttäuschung. Im Februar 2020 habe er die Stelle im Betrieb als Allrounder angetreten. In dem Sportgeschäft mit Werkstatt, das auch Events organisiert, sollte er sich um Büro, Verkauf und Organisatorisches kümmern.
Seine Aufgabe war es, dem Chef, einem verdienten Sportler, den Rücken freizuhalten und die Geschäfte wieder in Schwung zu bringen. Wenn nötig, war auch ein Einsatz in der Werkstatt angesagt. Der Lohn von 4750 Franken brutto war nicht grossartig, dafür konnte der 30-Jährige sein Hobby – den Sport – zum Beruf machen.
Den Chef wegen Kokainkonsums zur Rede gestellt
Bald habe er allerdings gemerkt, dass mit dem Chef etwas nicht stimme, fährt der Kläger fort. «Er war unzuverlässig, selten pünktlich, und manchmal kam er ohne Vorankündigung gar nicht zur Arbeit.» Eines Tages sei Kokain im Betrieb herumgelegen. «Ich stellte den Chef zur Rede», sagt der ehemalige Mitarbeiter, «doch er schob alles auf einen Angestellten ab.»
Die Ausrede verfing nicht, die Drogen hätten eindeutig dem Chef gehört. Dieser habe heftig auf die Konfrontation reagiert. «Er warf mir vor, vom ersten Tag an gezielt auf eine Demontage seiner Person hingearbeitet zu haben, um mir alles unter den Nagel zu reissen.» Am 1. September erhielt der 30-Jährige die fristlose Kündigung. Begründung: «Illoyalität», «Verrat von Geschäftsgeheimnissen» und eine «schwerwiegend konkurrenzierende Geschäftstätigkeit».
Der Einzelrichter fragt, ob diese Vorwürfe des Ex-Chefs zuträfen. «Im Gegenteil», entgegnet der Kläger. «Ich arbeitete ja die ganze Zeit nur bei ihm und für ihn.»
Das Geschirr war zerschlagen. Der Augustlohn war die letzte Zahlung. Ein Arbeitszeugnis gab es nicht. Auf Anrufe oder Briefe erfolgte keinerlei Reaktion. Sogar der Zutritt zum Geschäft sei ihm verweigert worden, sagt der Ex-Mitarbeiter. So sei es auch den beiden Mechanikern ergangen, die aufgrund der Turbulenzen ebenfalls aus dem Betrieb ausstiegen.
Der Richter will wissen, wie der Kläger auf die Forderung von 14 250 Franken komme. Dieser rechnet vor: Der Betrag entspreche zwei Monatslöhnen während der ordentlichen Kündigungsfrist und einem dritten als Entschädigung für die missbräuchliche fristlose Kündigung. Zudem verlange er ein Arbeitszeugnis.
Der Richter fragt, was denn im Zeugnis stehen soll. Der Kläger ist perplex, er habe keinen Textvorschlag mitgebracht. Der Richter gibt ihm zehn Minuten Zeit, um das nachzuholen. Nach dem Verhandlungsunterbruch ist klar, was im Zeugnis stehen soll. Nämlich, dass er für die Unterstützung der Geschäftsleitung sowie die Geschäfts- und die Werkstattplanung zuständig war. Dass er zuverlässig und loyal war. Und dass der Betrieb «sehr zufrieden» mit seiner Arbeit war und sich freuen würde, «in Zukunft wieder mit ihm zusammenzuarbeiten».
Arbeitgeber muss Gründe für fristlose Kündigung nachweisen
Der Richter stützt sich bei seinem Entscheid auf die Angaben des Klägers, die er für glaubwürdig hält. Es sei am Arbeitgeber, Gründe für eine fristlose Kündigung nachzuweisen, erklärt er. Da der Arbeitgeber nicht da sei und nichts eingereicht habe, habe er auch nichts bewiesen. Die fristlose Kündigung sei ungerechtfertigt gewesen. Deshalb muss der Arbeitgeber laut Urteil dem 30-Jährigen die verlangten 14 250 Franken zahlen und das gewünschte Arbeitszeugnis ausstellen. Zudem hat er dem Kläger 200 Franken Prozessentschädigung zu entrichten.
Kostenlose Verfahren im Arbeitsrecht
Forderungen im Arbeitsrecht bis zu einem Betrag von 30 000 Franken verhandelt das Gericht kostenlos in vereinfachten Verfahren. Das heisst: Das Gericht stellt für seine Tätigkeit keine Gerichtskosten oder andere Auslagen in Rechnung. Angerechnet werden beim Streitwert auch Sachforderungen. Für das Ausstellen eines Arbeitszeugnisses etwa wird als Faustregel ein Monatslohn eingesetzt, für eine Änderung ein halber Monatslohn. Die unterliegende Partei muss der Gegenseite eine Parteientschädigung zahlen, auch wenn das Verfahren kostenlos ist. Liegt der Streitwert über 30 000 Franken, fallen die für Forderungsprozesse üblichen Gerichtskosten an.