Solche Töne kennt man von früher: «Die Politik eines Halbstarken», titelt die «Neue Luzerner Zeitung» – und setzt auf eine brachiale Rhetorik. «Das System Putin debütierte als blutige Dampfwalze in Tschetschenien», heisst es in einer angeblichen «Analyse aus Moskau». Der Leser findet aber keine Analyse, sondern eine Aufzählung der Untaten Wladimir Putins, zum Teil in der Sprache östlicher Scharfmacher: «Russlands Politik wirkt zusehends rowdyhaft.»
Wenig hilfreich sind auch Nazi-Vergleiche wie in der «Aargauer Zeitung». Da heisst es in einem Kommentar zur Volksabstimmung auf der Krim: «So dreist war nicht einmal Hitler, als er 1938 die Österreicher über den Anschluss ans Deutsche Reich abstimmen liess.» Historisch ist der Vergleich unhaltbar. Und er unterstellt, die Welt stehe erneut vor einer Katastrophe.
Ratlos bleiben die Leser auch, wenn von diffusen Zwischenfällen die Rede ist, ohne dass die Quellenlage geklärt ist. So berichten die «Schaffhauser Nachrichten» von der Entführung dreier «pro-ukrainischer Demokratieaktivistinnen», von denen eine «vor Ort als Reporterin arbeiten wollte». Unklar ist, was mit den Frauen weshalb passierte und wer sie dann drangsalierte. Man erfährt nur, dass die Ukrainerinnen Opfer sind, und muss annehmen, dass wahrscheinlich russische Sympathisanten als Täter in Frage kommen. Unklar bleibt auch, ob es sich beim Vorfall um einen schwerwiegenden Übergriff oder eine Bagatelle handelte.
Geschichtliches Hintergrundmaterial fehlt fast vollständig
In vielen Berichten müssen sich die Leser mit einer einseitigen Darstellung der Geschehnisse begnügen – der westlichen Sichtweise. Und sie erfahren kaum etwas über die Geschichte Russlands sowie der Ukraine, welche die aktuellen Geschehnisse erst verständlich macht.
Wer ein umfassenderes Bild will, muss zur NZZ oder «Wochenzeitung» (WOZ) greifen. Hier finden sich Feststellungen wie: «Doch jetzt, wo die rechtsradikale Swoboda-Partei in Kiew den Generalstaatsanwalt, den Vizeministerpräsidenten sowie den Landwirtschafts- und den Ökologieminister stellt, schrillen bei vielen russischsprachigen Bewohnerinnen des Landes die Alarmglocken.» Die WOZ kritisiert aber das russische Vorgehen auf der Krim ebenfalls.
Auch die NZZ verzichtet auf antirussische Polemik. Die Leser finden dafür in diesem Blatt hervorragendes Hintergrundmaterial. So zeichnet ein österreichischer Slawist die Vergangenheit von Russland und Ukraine seit dem 17. Jahrhundert nach. Der Autor schreibt, die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine werde nicht diskriminiert. Aber dass viele Ukrainer in einem Loyalitätskonflikt stünden – zwischen ihrer Staatsmacht und dem in Moskau angesiedelten Patriarchat ihrer orthodoxen Kirche. Nach der Lektüre ist klar, wie schwer ein differenziertes Urteil über den Wechsel der Krim zu Russland fällt.
«Walliser Bote» differenzierter als der «Tages-Anzeiger»
Im Gegensatz dazu liefert etwa der «Tages-Anzeiger» seinen Lesern weniger Hintergrund. So wird Präsident Putins Kritik an «nationalistischen und faschistischen Elementen» in der Ukraine als Vorwand zur Intervention verworfen. Kein Wort in diesem Artikel davon, dass tatsächlich Rechtsextreme in der ukrainischen Regierung sitzen. Und kein Wort davon, dass der abgesetzte Autokrat Janukowitsch in sein Amt gewählt worden ist – im Gegensatz zur gegenwärtigen Regierung, die sich selbst nach einem Umsturz eingesetzt hat. «Putin ist der Hauptverantwortliche für die gegenwärtige Krise», heisst es dafür an anderer Stelle.
Das sieht der «Walliser Bote» deutlich differenzierter: «Das Wissen um die regionalen Befindlichkeiten fehlt gänzlich. Es ist fahrlässig, auf dem Kiewer Maidan grossspurig über Demokratie zu dozieren, wenn man den demokratisch gesinnten Kräften in einem völlig geteilten Land nichts als leere Worte zu bieten hat.» Ein einziger Satz, der die Ereignisse auf den Punkt bringt.
Das Fernsehen wartet mit mehr Objektivität und Zurückhaltung auf
Im Gegensatz zu einem Grossteil der Presse achten die SRF-Informationssendungen «Tagesschau» und «10 vor 10» auf Objektivität. Alle Aussagen von Politikern, ob westlich oder östlich, werden im Konjunktiv wiedergegeben. Die Kommentatoren bemühen sich um Zurückhaltung, auch wenn sich einzelne Behauptungen aus der Ferne nicht überprüfen lassen. So unterstellt ein Korrespondent in der «Tagesschau» der Bevölkerung auf der Krim, dass sie unter dem Einfluss russischer Propaganda stehe und deshalb «westlichen Berichterstattern mit Hass begegnet».
Der Zuschauer spürt auch das Bestreben der Fernsehleute im Studio, Bild und Kommentar nicht auseinanderdriften zu lassen. Das gelingt etwa, wenn Aufnahmen von ukrainischen Marinesoldaten gezeigt werden, die ein U-Boot verlassen, weil es die Russen beschlagnahmten. Natürlich könnten die Soldaten in ihren Zivilkleidern nur für einen Spaziergang an Land gehen. Aber man glaubt dem Sprecher, wenn er sagt, dass sie nicht mehr zurückkehren werden. Fehlt das gewünschte Bildmaterial, sind meist Fahnen zu sehen – ukrainische oder russische oder beide zusammen. Fahnen dominieren die TV-Berichterstattung optisch generell, sei es im Zivilen oder im Militärischen.
Im Einzelfall überzeugen die Sendungen sogar mit erhellender Hintergrundinformation. So erklärte ein deutscher Experte in «10 vor 10» anschaulich, dass sich der Westen in der Vergangenheit viele Fehleinschätzungen erlaubt habe und damit in dieser Krise ebenfalls in der Verantwortung stehe.
Wer jedoch auf weiterreichendes Hintergrundmaterial hofft, kommt in den aktuellen TV-Sendungen naturgemäss nicht auf die Rechnung – dafür bietet sich wie immer in solchen Fällen das SRF-Radio mit dem «Echo der Zeit» an.