Kaum ist die Türe des Verbrennungsofens zu, beginnt der Holzsarg zu brennen. Nach 10 Minuten bei rund 750 Grad bricht er auseinander. Dann löst sich der Körper langsam auf.
Der Verbrennungsprozess dauert drei Stunden. Danach sind vom Verstorbenen alle Knochen sowie allfällige Edelmetallteile wie Zahngold und Implantate übrig. Die grossen Teile werden von Hand oder mit einem Magneten entfernt. Dann zerkleinert ein Mahlwerk die Knochenteile zu Asche.
Im Zürcher Krematorium Nordheim filtert das Mahlwerk auch Zahngold heraus – aber nur, wenn die Angehörigen vorgängig ihre mündliche und schriftliche Zustimmung gegeben haben. Das Edelmetall fällt in einen Safe, der nur unter Aufsicht der Krematoriumsleitung geöffnet wird. Es wird gewogen und an eine Firma verkauft, die Altgold einschmilzt.
Hüftgelenke und andere Metallimplantate verkauft das Krematorium einem Batterierecycler. Die Implantate enthalten wertvolle Metalle wie Chrom- Nickel, Chrom-Kobalt oder Titan.
Edelmetall-Erlöse fliessen in die Zürcher Stadtkasse
Vergangenes Jahr löste das Krematorium Zürich aus diesen Verkäufen fast 335'000 Franken. Das Geld floss in die Stadtkasse. Auch in Basel und St. Gallen filtern die Krematorien das Zahngold aus der Asche, sofern eine Zustimmung der Angehörigen vorliegt. Das Basler Krematorium nahm 2022 rund 167'000 Franken mit dem Edelmetallverkauf ein. St. Gallen verschweigt die Einnahmen.
Eine saldo-Umfrage bei 14 der 28 Schweizer Krematorien zeigt: Vor allem grössere Krematorien filtern das Zahngold aus der Asche. Metalle aus Hüftgelenken und anderen Implantaten entnehmen alle angefragten Krematorien und verkaufen sie an Recyclingunternehmen. Bern und St. Gallen spenden den Erlös gemeinnützigen Organisationen. Bei der Mehrheit jedoch landen diese Einnahmen in der eigenen Tasche.
Die Krematorien rechtfertigen die Edelmetall-Entnahme damit, es sei ökologisch sinnvoll, die wertvollen Rohstoffe wiederzuverwerten. Nicht alle fragen die Hinterbliebenen, ob sie mit der Entnahme einverstanden sind.
Anders die Stadt Zürich: Sie fragt aktiv bei den Angehörigen nach. Bei 40 Prozent der gut 7000 Kremationen pro Jahr fehlt die Zustimmung. Dann bleibe das Gold in der Asche und werde den Angehörigen übergeben, sagt Rolf Steinmann, Leiter des Zürcher Krematoriums Nordheim.
«Das Zahngold gehört den Angehörigen»
Anders in Bern und Solothurn, wo das Krematorium Zahngold ohne Nachfrage herausfiltert. Dort geben Angehörige mit der Unterschrift im Kremationsvertrag automatisch ihre Zustimmung. Das Krematorium Bern schreibt saldo, es stehe in den allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass die Edelmetalle entnommen würden: «Die AGB bilden Bestandteil des Kremationsauftrags und müssen vorgängig von den Auftraggebenden bestätigt und akzeptiert werden.»
Im Klartext: Angehörige in Bern und Solothurn haben keine Wahl. Die Krematorien filtern das Zahngold der Verstorbenen in jedem Fall heraus. Wollen Angehörige das Edelmetall zurückhaben, müssen sie es ausdrücklich verlangen – und sogar noch extra dafür zahlen.
Rechtsprofessor Pascal Rey von der Uni Freiburg bezweifelt, dass das zulässig ist: «Grundsätzlich gehört das Zahngold den Angehörigen. Deshalb haben sie das Recht, dass es ihnen nach der Kremation ausgehändigt wird.» Rey weiter: «Wenn eine Pauschale verabredet ist, dürfen Angehörige erwarten, dass die Ausfilterung des Zahngolds damit abgegolten ist. Das Krematorium darf nachträglich nicht mehr Geld verlangen.»
Wenn Angehörige in Bern und Solothurn vermeiden wollen, dass ihren Verstorbenen das Zahngold entnommen wird, bleibt ihnen nur, auf ein anderes Krematorium auszuweichen.