Zu viele Patienten gehen für eine komplizierte Krebsoperation in ein Spital mit zu wenig Routine. Ein Beispiel sind Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse wegen eines Tumors. Jede dritte der rund 700 Operationen im Jahr 2015 fand laut Bundesamt für Gesundheit in einem Spital statt, das weniger als 30 solcher Eingriffe pro Jahr vornahm. Jede zehnte Operation führte sogar ein Spital durch, das weniger als zehn Fälle betreut hatte.
Ulrich Güller, stellvertretender Chefarzt für medizinische Onkologie am St. Galler Kantonsspital, rät, «sich für einen solchen Eingriff lieber nicht von wenig erfahrenen Chirurgen in einem Spital mit kleinen Fallzahlen operieren zu lassen».
Forscher analysierten Daten von 18 000 Krebspatienten
Güller stützt sich auf die Ergebnisse einer neuen Studie. Er und seine Kollegen haben ausgewertet, wie viele von rund 18 000 Krebspatienten eine Hochrisikooperation an Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre, Magen oder Mastdarm zwischen den Jahren 1999 und 2012 nicht überlebten. Das Resultat ist eindeutig: Bei den entsprechenden Eingriffen starben in Schweizer Spitälern mit hohen Fallzahlen durchschnittlich weniger Operierte als in Spitälern, die nur selten solche Eingriffe vornahmen.
Konkret: Bei Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs war die Sterberate in den Zentren mit hohen Fallzahlen um 68 Prozent tiefer als in kleineren Spitälern. Bei Patienten mit Speiseröhrenkrebs waren es 49 Prozent, bei Magenkrebs 32 Prozent und bei Mastdarmkrebs 29 Prozent (siehe Tabelle im PDF).
Qualität der Versorgung nach dem Eingriff ist wichtig
«Entscheidend für den Therapieerfolg ist das Behandlungsteam, nicht nur die operative Erfahrung des Chirurgen», sagt Güller. Je routinierter das Team aus Onkologen, Gastroenterologen, Radiologen und Pflegepersonal arbeite, desto grösser seien die Chancen, dass Patienten die Operation ohne schwere Komplikationen überstehen. Wichtig sei vor allem die Versorgung nach dem Eingriff. Studien aus den USA, Kanada, Holland oder Frankreich kamen zu ähnlichen Erkenntnissen wie die Schweizer. Studien aus Deutschland zeigen zudem: Spitäler mit hohen Fallzahlen schneiden auch bei anderen Eingriffen besser ab als Spitäler mit wenig Routine (siehe Unten).
Bund und Kantone müssten die Patienten besser vor höheren Risiken bei komplexen Operationen in Spitälern mit unerfahrenem Personal schützen. Ein Gremium der Gesundheitsdirektoren empfahl vergangenes Jahr in diesem Sinn: Jedes Spital muss mindestens 12 Hochrisikooperationen pro Tumorart im Jahr durchführen, um diese weiter vornehmen zu dürfen. Güller hält diese Mindestfallzahl noch für «viel zu tief». Mindestens 30 Operationen im Jahr – etwa bei Speiseröhrenkrebs – sollten pro Spital Pflicht sein. Dafür gebe es «eindeutige wissenschaftliche Beweise». Nur so bekämen die Chirurgen und ihre Teams genug Praxis, um das Leben möglichst vieler Patienten retten zu können.
Auch Erika Ziltener, Präsidentin der Schweizer Patientenstellen, rät, «schwere Operationen in Spitälern mit viel Routine vornehmen zu lassen». Auf jeden Fall sollten sich Patienten vorher erkundigen, wie gross die Erfahrung des Chirurgen und des Spitalteams sei. Ein Anhaltspunkt bietet die Website des Bundesamts für Gesundheit zu den Qualitätsindikatoren der Akutspitäler: www.bag.admin.ch/qiss. In der Rubrik «Fallzahlen» sieht man zum Beispiel, dass im Jahr 2015 das Inselspital Bern 84 Bauchspeicheldrüsenoperationen durchführte. Kein anderes Spital im Land betreute so viele Fälle.
Mindestfallzahlen sollen für Schutz vor «Gelegenheitsoperationen» sorgen
Ein neues Hüftgelenk, eine Prostataentfernung oder eine neue Herzklappe – Patienten sollten sich auch für weniger riskante Eingriffe eher einem Spital mit hohen Fallzahlen anvertrauen. Das zeigen Studien aus Deutschland. Ihnen zufolge kommt es vor allem bei Eingriffen in Spitälern mit viel Routine durchschnittlich zu weniger Todesfällen und Komplikationen als in kleineren Häusern.
Der Kanton Zürich legte kürzlich fest, dass ab 2019 jeder operierende Arzt bei Prostataentfernungen, Eingriffen für Hüft- und Knieprothesen, Brustkrebs oder Unterleibstumoren pro Jahr zwischen 10 und 50 Eingriffe erreichen muss. Das soll Patienten vor «Gelegenheitsoperationen» schützen. Regionalspitäler laufen dagegen Sturm. Sie befürchten einen Patientenrückgang. Mediziner sagen, manche Chirurgen hätten viel Erfahrung, auch wenn sie selten operierten. Patientenschützer Andreas Keusch warnt: Spitäler würden mehr unnötige Eingriffe durchführen, um die geforderten Fallzahlen zu erreichen.