Als Dietmar Zegg 50 Jahre alt war, forderte ihn sein Hausarzt erstmals auf, die Prostata auf Krebs untersuchen zu lassen. Immer wieder kam der Arzt darauf zu sprechen. Schliesslich liess sich der heute 66-Jährige aus Zürich dazu überreden. Das Resultat war gut.
Vielen Männern geht es wie Dietmar Zegg. Der Hausarzt oder der Urologe fordert sie auf, die Prostata untersuchen zu lassen. So empfiehlt das Kontinenzzentrum der Klinik Hirslanden in Zürich auf seiner Webseite einen jährlichen Prostata-Check ab 45 Jahren.
Bei der Praxiskette Uromed heisst es: «Für jeden Mann ab 45 Jahren sollte die jährliche Vorsorgeuntersuchung selbstverständlich sein.» Dabei tastet der Arzt die Prostata mit dem Finger durch den Enddarm ab. Er prüft die Grösse und Form der Prostata und sucht nach Knoten oder verhärteten Stellen. Das sei «unkompliziert und schmerzlos», schreibt Uromed. Viele Männer empfinden die intime Untersuchung aber als unangenehm.
Prostatakrebs wird beim Abtasten oft nicht erkannt
Auf das Abtasten der Prostata können Männer verzichten. Das zeigen gleich zwei neue Studien. Agne Krilaviciute vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (D) sagt: «Die Tastuntersuchung ist doppelt schädlich.» Denn er löse oft falschen Alarm aus. In der Studie des Instituts ergab das Abtasten bei 57 der 6500 Teilnehmer einen Krebsverdacht. Tatsächlich hatten aber nur 3 von ihnen Krebs. Bei den restlichen 54 Betroffenen war es falscher Alarm. «Das versetzte sie unnötig in Angst», sagt Krilaviciute.
Ein weiteres Problem: Ärzte übersehen beim Abtasten die meisten Tumore. So untersuchte das Forscherteam auch 180 Männer mit Prostatakrebs. Nur bei 26 von ihnen erkannten Ärzte den Krebs beim Abtasten. Die anderen Betroffenen würden sich in falscher Sicherheit wähnen, schreiben die Studienautoren.
Männer ohne Beschwerden können auf den Test verzichten
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie der Universität Wien (A) mit 85'700 Teilnehmern. Ihr Fazit: «Die Aussagekraft des Tastuntersuchs ist nicht besonders beeindruckend.» Männer ohne Beschwerden könnten darauf verzichten.
Die Tastuntersuchung brachte auch in Kombination mit dem PSA-Test keine Vorteile. Bei diesem misst man im Blut die Menge an Prostataspezifischem Antigen (PSA). Ein hoher Wert kann auf Krebs hindeuten. Doch auch dieser Test steht schon lange in der Kritik. Viele Ärzte und Fachgremien raten davon ab. Der Verein Smarter Medicine, der sich gegen die Überversorgung im Gesundheitswesen einsetzt, bezeichnet ihn als «unzuverlässig».
Die Probleme sind dieselben wie bei der Tastuntersuchung: Er verhindert keine Todesfälle, kann aber zu unnötigen Behandlungen mit schwerwiegenden Folgen wie Impotenz und Inkontinenz führen.
Der Arzt und Epidemiologe Johannes G. Schmidt aus Einsiedeln SZ rät von allen Prostata-Checks ab: «Sie nützen Männern kaum, führen aber zu vielen unnötigen Diagnosen.» Denn längst nicht jeder Prostatakrebs führt zu gesundheitlichen Problemen, geschweige denn zum Tod.
Auch die Zürcher Ärztin Corinne Chmiel sagt: «Bei gesunden Männern sind Vorsorgetests mit Tastuntersuchungen und PSA-Wert nicht sinnvoll.» Man gewinne mit den Tests kein Lebensjahr, schaffe aber viele Probleme. Chmiel leitet den Bereich Wissenschaft und Innovation bei Medix Schweiz, einem Zusammenschluss von Haus- und Facharztpraxen. Sie empfiehlt einen PSA-Test nur Männern, deren Vater oder Bruder in jungen Jahren an einer aggressiven Form von Prostatakrebs erkrankte oder die an einer bekannten genetischen Mutation leiden.
Auch Patient Dietmar Zegg ist zum Schluss gekommen: «Es gibt keinen Grund, die Prostata regelmässig untersuchen zu lassen.» Falls er je Beschwerden haben sollte, werde er sie nicht ignorieren und sofort zum Arzt gehen.
Der Urologe André Reitz vom Kontinenzzentrum Hirslanden verweist auf die Leitlinien der Fachgesellschaften: «Sie empfehlen den PSA-Test für alle Männer, die das wünschen.» Er berate Männer über die Vor- und Nachteile des Tests. Die Tastuntersuchung habe für die Prostatavorsorge zwar an Bedeutung verloren. Es lasse sich damit aber etwa Krebs am Anus oder im Enddarm erkennen.
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Bei diesen Beschwerden sollte man zum Arzt gehen
Dringend empfohlen:
- Sie können kein Wasser mehr lassen.
- Sie haben starke Schmerzen oder Druckschmerzen am Damm.
Nicht dringend:
- Sie haben immer öfter Harndrang, vor allem nachts.
- Der Harn beginnt erst nach längerem Warten zu fliessen.
- Der Harnstrahl ist schwach oder immer wieder unterbrochen.
- Nach dem Wasserlassen tröpfelt es nach.
- Der Samenerguss ist schmerzhaft.