Wer an Sodbrennen leidet, kann regelmässig Pillen schlucken – oder nur, wenn es nötig ist. Den Patienten helfe beides gleich gut, sagt ein Prüfbericht des Bundesamts für Gesundheit vom Juni 2020. Krankenkassen könnten bis zu 25 Millionen Franken pro Jahr sparen, wenn die Patienten die Pillen nur noch dann schlucken, wenn sie Beschwerden hätten.
Solche Berichte erstellt das Bundesamt für Gesundheit bereits seit 2015. Die Mitarbeiter beauftragen externe Wissenschafter damit, die Nutzen und Kosten kassenpflichtiger Behandlungen zu analysieren. Auch Länder wie Grossbritannien, Kanada, Deutschland und Frankreich durchleuchten ihr Gesundheitswesen, um möglichst gute Leistungen für ihr Geld zu bekommen.
Zwischen Januar und August 2021 gelangten fünf Berichte über den Nutzen von Behandlungen vor die Eidgenössische Arzneimittelkommission. Es ging um Mittel gegen Sodbrennen, Cholesterinsenker für Personen, die kein erhöhtes Infarktrisiko haben, Eisenpräparate für Patienten ohne Blutarmut sowie um Medikamente gegen Kniearthrose. Dem Gremium gehören unter anderem Vertreter von Ärzten, Patienten und der Pharmaindustrie an. Sie beraten das Bundesamt für Gesundheit punkto Medikamente, welche die Kassen aus der Grundversicherung zahlen müssen. Die Entscheide der Kommission sind vertraulich, doch saldo weiss: Die Kommission folgte in vier von fünf Fällen den Empfehlungen der Experten, die Bezahlung der Medikamente einzuschränken: Die Krankenkassen sollten künftig zum Beispiel keine Sodbrennendauertherapie und Patienten mit geringem Risiko keine Cholesterinsenker mehr zahlen.
Das letzte Wort hat das Bundesamt für Gesundheit. Es änderte bisher nichts. Laut Mark Pletscher, Professor für Gesundheitsökonomie der Berner Fachhochschule, «fehlt der politische Wille, zugelassene Leistungen zu streichen».
Pharmaindustrie soll bei Entscheiden mitreden dürfen
Das Bundesamt schloss seit 2015 nur 8 von 38 Untersuchungen ab und strich nur in zwei Fällen Leistungen: So müssen die Krankenkassen seit Mai 2021 für bestimmte teure Medikamente bei Diabetes nur noch zahlen, wenn alle anderen nicht helfen. Zudem erstatten sie seit April 2021 Zuckerkranken, die kein Insulin spritzen, jährlich nur noch 200 statt 400 Teststreifen. Das Bundesamt rechnet mit Einsparungen von fünf Millionen Franken pro Jahr. Vor drei Jahren bezifferte es das jährliche Sparpotenzial noch auf 600 Millionen Franken.
Die Eidgenössische Finanzkontrolle kritisierte die Sparanstrengungen des Bundesamts schon vor zwei Jahren als ungenügend. Das Bundesamt bearbeite zu wenig Fälle, ignoriere Resultate ausländischer Untersuchungen und hole selbst bei klaren Fällen mehrfach Stellungnahmen der Hersteller ein. Die Pharmaindustrie rede sogar beim Entscheid mit, welche Kassenleistungen kritisch überprüft werden sollen. Sie könnten so Entscheide verwässern und mögliche Einsparungen verzögern, warnte die Finanzkontrolle. In der Schweiz dauern Verfahren bis zu vier Jahre, in Frankreich nur ein Jahr.
Das Bundesamt sagt gegenüber saldo, es habe das Verfahren gestrafft und die Bearbeitungszeit halbiert. Internationale Erkenntnisse würden stets einbezogen und mehr kürzere Berichte angefertigt. Andreas Schiesser vom Krankenversicherungsverband Curafutura sagt: «Das Bundesamt kann die Bilanz rasch aufbessern. Es muss nur die Empfehlungen seiner eigenen Abteilung endlich auch umsetzen.»