Am 1. September verkündete der Krankenkassenverband Santésuisse in der Samstagsrundschau von Radio SRF, dass die Prämien der obligatorischen Grundversicherung im kommenden Jahr um acht bis neun Prozent steigen werden. Im laufenden Jahr erhöhten die Krankenkassen nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) die Prämien um durchschnittlich 6,6 Prozent.
Der Verband kündigt seit Anfang Jahr einen erneuten hohen Prämienaufschlag an. Seine Begründung: «Die Kosten lagen im Jahr 2022 deutlich über den Prämieneinnahmen.»
Auch der zweite Verband der Krankenkassen, Curafutura, spricht in seiner Medienmitteilung vom 10. August von einem markanten Prämienanstieg für 2024, weil die Prämien die «überdurchschnittlich» wachsenden Kosten «offenkundig» nicht decken würden.
saldo-Recherchen ergeben ein anderes Bild: Die Grundversicherten zahlten 2022 Prämien von durchschnittlich 3760 Franken pro Kopf. Für die Leistungen gaben die Kassen aber lediglich 3707 Franken pro Kopf aus. Die Kassen nahmen 2022 rund 33,1 Milliarden Franken Prämien ein, gaben aber nur 32,6 Milliarden Franken aus. Die Bevölkerung bezahlte also 464 Millionen Franken mehr, als ihre medizinische Versorgung kostete. Das zeigen Zahlen aus dem «Informationssystem Versicherungsaufsicht» des Bundesamts für Gesundheit.
Ähnlich sind die Zahlen von 2021: Die Kassen bezahlten Kosten von 3627 Franken pro Kopf, nahmen aber mit den Prämien 3788 Franken ein, 161 Franken mehr. Der Überschuss betrug 1,5 Milliarden Franken.
Grundversicherte bezahlen seit 25 Jahren zu hohe Prämien
Die Krankenkassen legen die Höhe der Prämien selbst fest. Diese muss der Bundesrat genehmigen. Hält er die Kalkulation für das kommende Jahr für plausibel, bewilligt er die neuen Prämien. Die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen, dass die Kassen die Prämienerhöhungen letztes Jahr öffentlich mit viel zu hohen Krankheitskosten begründeten.
Curafutura rechtfertigte die Prämienexplosion 2023 um 6,6 Prozent so: Dieser Anstieg «spiegelt den Kostenanstieg wider». Und Santésuisse behauptete: Das «anhaltend hohe Kostenwachstum» seit 2021 von 6,4 Prozent zwinge die Versicherungen zu «starken Prämiensteigerungen».
Tatsache ist aber: Die von den Kassen bezahlten Behandlungskosten stiegen gemäss dem Bundesamt für Statistik 2021 nur um 4,5 Prozent und 2022 nur um 2,6 Prozent. Das entspricht dem langjährigen Durchschnitt.
Curafutura nimmt zu den Recherchen von saldo nicht Stellung. Und Santésuisse bleibt bei der Behauptung, dass die Behandlungskosten «sehr stark gestiegen» seien und ein Defizit verursacht hätten. Der Verband zählt die Verwaltungskosten der Versicherungen auch zu den Krankheitskosten. Diese betrugen im Jahr 2022 bei den 50 Krankenkassen über 1,7 Milliarden Franken.
In dieser Summe enthalten sind laut Bundesamt auch die Provisionen für Versicherungsvermittler in Höhe von 48 Millionen Franken und die Werbung mit 73 Millionen Franken – für eine Versicherung, die obligatorisch ist und identische Leistungen bezahlt.
Corona-Pandemie verursachte keine Kostenexplosion
Covid-19 traf die Krankenkassen nur moderat, wie ein im vergangenen Juni publizierter Bericht des Bundesamts für Gesundheit zu den Pandemiekosten belegt: 2022 bezahlten die Versicherungen für Impfungen und Spitalbehandlungen 370 Millionen Franken – bei Behandlungskosten von insgesamt 32,6 Milliarden Franken. Im Jahr zuvor waren es 594 Millionen Franken bei Gesamtausgaben von 31,4 Milliarden Franken.
Korrektur: Krankheitskosten stiegen stärker als berichtet
saldo berichtete unter dem Titel «Prämien steigen stärker als Krankheitskosten» über die stark gestiegenen
Krankenkassenprämien der letzten 25 Jahre (saldo 14/2023). Darin hiess es, die Ausgaben der Krankenkassen für medizinische Leistungen seien seit 1997 um 42 Prozent gestiegen. Das ist falsch. Richtig gerechnet beträgt die
Kostenzunahme 136 Prozent. Die eingenommenen Prämien übertrafen die Ausgaben für Krankheitskosten in den
letzten 25 Jahren immer – mit einer einzigen Ausnahme im Jahr 2009.