Wer Rechnungen nicht fristgerecht bezahlt und auf Mahnungen nicht reagiert, muss mit einer Betreibung rechnen. Das gilt auch bei offenen Krankenkassenprämien.
Gegen einen Zahlungsbefehl können Schuldner Rechtsvorschlag erheben. Das bedeutet: Die Forderung wird bestritten. Gläubiger müssen dann beim Gericht auf Beseitigung des Rechtsvorschlages klagen. Das Gericht entscheidet, ob die Forderung ausgewiesen ist. Je nach Entscheid bleibt der Rechtsvorschlag bestehen oder der Weg zur Pfändung des Schuldners geebnet.
Krankenkassen sind privilegiert
Das gilt jedoch nicht für Krankenkassen. Sie sind – wie Verwaltungsbehörden des Bundes oder der Kantone – gemäss Gesetz privilegiert. Sie können den Rechtsvorschlag ohne richterliche Mitwirkung selbst mit einer Verfügung aufheben. Wer diesen Entscheid nicht innert der Rechtsmittelfrist anficht, kann sich gar nie zur Sache äussern. Ob die Schuld überhaupt besteht, spielt dann keine Rolle mehr. Die Krankenkasse kann die Fortsetzung der Betreibung verlangen, bis hin zur Lohnpfändung oder Pfändung von Vermögenswerten.
Dieses Privileg gilt laut Bundesgericht zwar nur im Rahmen der Grundversicherung.
Aber nicht nur für ausstehende Prämien, Franchisen und Selbstbehalte, sondern auch für Bearbeitungsgebühren. So steht es in der Verordnung über die Krankenversicherung bei verspäteter Zahlung.
«Gläubiger und Richter»
Das Sonderrecht der Krankenkassen stösst auf Kritik. Sébastien Mercier, Jurist und Geschäftsleiter des Dachverbands Schuldenberatung Schweiz, sagt: «Krankenkassen sind gleichzeitig Gläubiger und Richter. Das ist aus rechtsstaatlicher Sicht heikel.» Und Yves de Mestral vom Betreibungsamt Zürich 3 sagte an einer Medienkonferenz Ende April, bei Beitreibungen würden Krankenkassen neben den Versicherungsprämien vermehrt «exorbitante Nebenforderungen» geltend machen. Diese würden teilweise in keinem vernünftigen Verhältnis zu den offenen Prämien stehen.
Laut Mercier fehlt es bei vielen Krankenkassen am notwendigen Fachwissen. So hat er als Schuldenberater auch immer wieder Klienten, die von ihrer Krankenkasse zu Unrecht gemahnt oder betrieben wurden. Zum Beispiel können Versicherte mit Zahlungsrückständen die Krankenkasse nicht wechseln. Trotzdem komme es vor, dass jemand eine neue Versicherung abschliesst – und dann eine Betreibung von der bisherigen und der neuen Krankenkasse erhält. Gemäss Rechtsprechung sei aber der neue Vertrag gar nicht gültig.
Die Mahnverfahren sind laut Mercier zudem fast überall automatisiert. Das führe ebenfalls zu Problemen. Beispiel: Bezahlt jemand die Juni-Prämie versehentlich mit dem Einzahlungsschein für den Juli, könne das ein kostspieliges Mahnverfahren auslösen.
Mario Roncoroni von der Berner Schuldenberatung fände es aus rechtsstaatlicher Sicht begrüssenswert, wenn die Krankenkassen ihr Privileg verlören: «Damit würde ein substanzieller Betrag an die Qualitätssicherung bei der Erfüllung der öffentlichrechtlichen Aufgaben durch die Krankenkassen geleistet.»
«Äusserst effiziente Vorgehensweise»
Damit sind die Krankenkassen nicht einverstanden. Laut Sanitas würden die Gerichte «noch mehr belastet, wenn die Krankenkassen die Rechtsvorschläge nicht in eigener Regie aufheben könnten». Für die CSS ist die Aufhebung der Rechtsvorschläge per Verfügung «eine äusserst effiziente Vorgehensweise». Die CSS hat im letzten Jahr nach eigenen Angaben 4800 Rechtsvorschläge aufgehoben. Bei der Groupe Mutuel waren es rund 12 500.
Laut Santésuisseist dieses Privileg aus rechtsstaatlicher Sicht unproblematisch, weil die Betroffenen Rekurs einlegen könnten. Er empfiehlt zu Unrecht gemahnten Kunden und Personen mit finanziellem Engpass, Kontakt mit ihrer Krankenkasse aufzunehmen.
So viel verlangen die Krankenkassen
saldo wollte von zwölf grossen Krankenkassen wissen, wie viel sie von den Versicherten für Mahnungen und Betreibungen verlangen. Resultat: Die Unterschiede sind gross. Bei den einen Kassen ist eine Mahnung kostenlos, andere verlangen 80 Franken.
Das Bundesgericht entschied im Februar, dass bei einer ausstehenden Forderung von 1000 Franken höchstens 30 Franken Mahngebühren «angemessen» sind.Das scheint nicht alle Kassen zu kümmern. Die Helsana verlangt für die zweite Mahnung, abhängig von der Forderung, zwischen 10 und 40 Franken. Die Kosten für die dritte Mahnung liegen zwischen 20 und 80 Franken. Anders die KPT: Sie verlangt für die erste Mahnung 5 Franken, für die zweite 15 Franken.
Jede zweite angefragte Krankenkasse hat die Mahngebühren seit 2010 erhöht. Insgesamt belastete allein die CSS ihren Kunden im letzten Jahr 9 Millionen Franken Mahngebühren.
Bei einer Betreibung verlangen die Kassen weitere Bearbeitungsgebühren: Die EKG 50 Franken, Sanitas 90 Franken, Concordia 100 Franken. Bei der CSS liegen die Gebühren zwischen 60 und 300 Franken, je nach Höhe der Forderung. Helsana und Atupri geben an, keine separaten Gebühren zu belasten. Die wenigsten Kassen legen offen, wie hoch die Einnahmen der Bearbeitungsgebühren für Betreibungen im letzten Jahr waren. Die CSS spricht von «über 15 Millionen Franken». Auch hier zeigt sich: Jede zweite Kasse hat die Gebühren für Betreibungen seit 2010 erhöht.
Laut Helsana decken die Mahngebühren die verursachten Kosten und sind keine zusätzliche Einkommensquelle. Sympany schreibt: «Krankenversicherer arbeiten nicht gewinnorientiert.» Und Visana sagt: «Grundsätzlich werden die Kosten verursachergerecht zum Schutz der pünktlichen Prämienzahler erhoben.»