An diesem Nachmittag steht die Einzelrichterin am Kreisgericht SeeGaster in Uznach SG vor einer besonderen Herausforderung. Es geht weniger um ihre juristischen Kenntnisse als um ihre Geduld. Die Klägerin ist ohne Rechtsanwalt, aber mit ihrem Mann erschienen. Und sie spricht kein Deutsch. Die eingereichte Klage begründetet sie nicht schriftlich. Der Dolmetscher, der aus dem Arabischen übersetzt, ist ebenfalls gefordert, weil er nicht den gleichen Dialekt wie die Klägerin spricht.
«Seine Übersetzung ist nicht ganz korrekt», wendet ihr Mann immer wieder ein. Während der ganzen Verhandlung präzisiert er die übersetzten Sätze. Die Klägerin ist Mutter von zwei kleinen Kindern. Sie spricht schnell, schweift ab und ist emotional sichtlich aufgewühlt. Von ihrem ehemaligen Arbeitgeber, einem kleinen Kosmetikstudio im Kanton St. Gallen, fordert sie 4200 Franken Lohn für die Monate Mai, Juni und Juli. Zudem verlangt sie ausstehende Kinderzulagen in der Höhe von 2300 Franken, die sie während fünf Monaten nicht erhalten habe.
Die Frau hatte bereits ihre Lehre in diesem Kosmetikstudio absolviert. Im September 2023 hatte sie die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und arbeitete anschliessend immer montags und samstags von 9 bis 17 Uhr.
«Zuerst gabs keine Kinderzulagen, dann kam der Lohn stets zu spät»
Die Inhaberin des Kosmetikstudios ist bei der Verhandlung nicht anwesend. Gemäss der Richterin reagierte sie auch nicht auf die Vorladung. «Das wundert mich nicht», sagt die Kosmetikerin. «Sie ist eine sehr arrogante Frau. Sie behandelte mich während der ganzen Zeit sehr herablassend und nahm meine Forderung von Anfang an nicht ernst.» Die Probleme hätten ab vergangenem Dezember angefangen. «Zuerst zahlte die Chefin die Kinderzulagen nicht. Dann kam der Lohn stets zu spät.»
Die Vorgesetzte habe das mit der Krankheit ihres Vaters begründet. «Sie sagte, sie habe gerade kein Geld, sei in einer sehr schwierigen emotionalen Lage und müsse sich um ihren Vater kümmern.» Dann erkrankte die Klägerin selbst schwer. Bis Anfang Mai war sie arbeitsunfähig. Die Chefin habe darauf «missbilligend und aggressiv reagiert», sagt die ehemalige Angestellte. Die Inhaberin des Kosmetikstudios habe ihr noch während des Spitalaufenthalts per SMS mitgeteilt: «Sobald du wieder gesund bist, werde ich dir kündigen.»
Zur Richterin gewandt, sagt die Kosmetikerin: «Stellen Sie sich vor, anstatt mich anzurufen oder nachzufragen, wie es mir geht, setzte sie mich unter Druck und mobbte mich. Ich kann doch nichts dafür, dass ich krank wurde.»
«Ich hielt den psychischen Druck nicht mehr aus»
Die Richterin bittet die Klägerin, konkret zu schildern, wie die Ex-Chefin sie unter Druck gesetzt habe. Die Kosmetikerin sagt: «Sie wollte, dass ich kündige, und war damit erfolgreich: Ich hielt den psychischen Druck nicht mehr aus.» Auch ihre Arbeitskollegin habe ihr «auf Instruktion der Chefin» per SMS mitgeteilt, sie solle kündigen. Sie habe alle SMS ausgedruckt. Auch den Nachweis für den fehlenden Lohn habe sie dem Gericht übergeben. Die Richterin will zuerst die Akten durchgehen und dann entscheiden.
Zur Klägerin sagt sie: «Sie haben Glück, dass die Gegenseite nicht anwesend ist. Ihre Ausführungen sind deshalb unbestritten.» Wochen später folgt das Urteil: Das Kosmetikstudio wird verpflichtet, der ehemaligen Angestellten 4200 Franken Lohn sowie Kinderzulagen in der Höhe von 2300 Franken zu bezahlen.
So wehren Sie sich bei verspäteter Lohnzahlung
Ein Unternehmen verletzt seine gesetzlichen Pflichten, wenn der Lohn am letzten Tag des Monats nicht auf dem Konto der Angestellten ist. Rechtlich ausgedrückt kommt die Firma «in Verzug». Angestellte sollten in solchen Fällen sofort eine eingeschriebene Mahnung senden und dem Unternehmen eine kurze Frist zur Bezahlung des Salärs setzen. Erfolgt danach noch immer keine Zahlung, gibt es folgende Möglichkeiten: Man schlägt ab dem ersten Tag des Monats 5 Prozent Verzugszinsen auf die ausstehende Summe und macht die Lohnforderung auf dem Betreibungsweg geltend. Nach nochmaliger Mahnung kann man die Arbeit niederlegen, bis der Lohn überwiesen wird.