Postfinance teilte im Sommer vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit, dass sie neu bereits ab einem tiefen Kontostand 1 Prozent Gebühren zahlen müssen. saldo weiss von Firmen, bei denen die Post die Grenze auf einen Sechstel des bisherigen Werts senkte. Für die KMU bedeutet das neue Kontogebühren von mehreren Zehntausend Franken pro Jahr.
Die neue Freigrenze für Negativzinsen liegt bei den saldo bekannten Unternehmen bei etwa ein bis zwei Monatsumsätzen. Doch Betriebe sollten höhere Beträge auf den Konten halten. Laut Reto Eberle vom Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Zürich besagt zwar eine Faustregel, dass man zehn Prozent des Jahresumsatzes an Liquidität benötige. Aus Risikoüberlegungen seien jedoch höhere Beträge ratsam: Kunden könnten zum Beispiel sehr spät oder gar nicht zahlen. Der Zürcher FDP-Ständerat und Inhaber einer Messtechnikfirma Ruedi Noser sagt, bei so tiefen Kontoständen könne es für KMU «sehr kritisch werden».
Postfinance gibt nicht bekannt, wie viele Firmen betroffen sind. Sie sagt saldo nur, dass sie 300 000 Geschäftskunden habe. Davon bezahle «ein tiefer einstelliger Prozentsatz» Negativzinsen. Postfinance legt auch nicht offen, wie sie den Schwellenwert für die Freibeträge bestimmt. Ein Betrieb erfuhr, die Berechnung erfolge «anhand der Debitoren- und Kreditorenumsätze». Was das heisst, konnte oder wollte die Post nicht erläutern.
Ein Wechsel zu anderen Banken ist oft schwierig
Will Postfinance erreichen, dass die KMU die Löhne wie früher bar zahlen? Postfinance-Sprecher Johannes Möri weicht aus. Wenn Cash auf dem Konto heute etwas koste, sei dafür die Nationalbank verantwortlich.
Professor Eberle sieht als Alternative für KMU die Verteilung von Geldern auf mehrere Banken. Doch das kann nachteilig sein. Oft sind Neukunden gegenüber bestehenden Kunden schlechter gestellt. Die Graubündner Kantonalbank zum Beispiel bittet Neukunden ab 250 000 Franken mit Negativzinsen zur Kasse. Bestehende Kunden zahlen erst ab 3 Millionen Franken. Kein Wunder, hat Eberle von Fällen gehört, in denen Betriebe Bargeld im Tresor lagern.
Viele Banken kennen fixe Schwellenwerte. Die Migros-Bank verlangt Negativzins erst ab 5 Millionen Franken Guthaben. Zum Vergleich: Postfinance langt teilweise schon ab wenigen Hunderttausend Franken zu. UBS und die Zürcher Kantonalbank (ZKB) erheben wie Postfinance individuelle «Guthabengebühren». Bei der ZKB beträgt der Zins 0,75 Prozent. Credit Suisse macht keine Angaben.
Postfinance will mit den Negativzinsen und den tieferen Freigrenzen Geld verdienen. Zur Zinshöhe von 1 Prozent sagt Sprecher Möri, die blosse Weitergabe des Nationalbankzinses sei «nicht kostendeckend». Banken müssen der Nationalbank 0,75 Prozent Negativzins zahlen. Das sind 0,25 Prozent weniger, als Postfinance von ihren Firmenkunden verlangt.
Experte Eberle spricht von einem Zielkonflikt. Die Post verfolge eigene finanzielle Ziele, doch die Öffentlichkeit erwarte von einem Staatsbetrieb, dass er KMU unterstütze, statt ihnen das Geschäft zu erschweren.
Das Zinsgeschäft ist für die Postfinance lukrativ
Wie viel Negativzins sie selber bezahlt und wie viel Negativzins sie von Kunden eintreibt, will die Postfinance nicht sagen. Aus dem letzten Geschäftsbericht geht hervor, dass das Zinsgeschäft 2018 sehr lukrativ war: Insgesamt verdiente Postfinance in diesem Bereich stolze 807 Millionen Franken.
Laut dem Postfinance-Sprecher könnten die Firmen ihr Guthaben «ausserhalb der geltenden Kündigungsfristen und Rückzugsbedingungen» zu einer anderen Bank transferieren, wenn sie mit der neuen Gebühr nicht einverstanden seien.
Der Zürcher Anwalt Jean-Marc Schaller hält dagegen fest: «Die Firmen müssen sich Negativzinsen nicht gefallen lassen, genauso wenig wie Privatkunden.» Die Einführung von Negativzinsen oder tieferen Freigrenzen sei nur mit Einverständnis der Kunden möglich. Falls Kunden das ablehnen, gelte betreffend Kontogebühren der bisherige Vertrag weiterhin. Deshalb hätten schon diverse Grossanleger wie Pensionskassen und Versicherungen bei Banken bezahlte Negativzinsen zurückgefordert. Oder verlangt, dass ihre Freigrenze erhöht wird.