Kolumne: Unterwegs mit «Fahrzeitverlängerung»
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saldo 09/2023
16.05.2023
Marco Diener
Es müsste mehr Dolmetscher geben. Nicht für Deutsch, Französisch oder so. Nein, eher für das Übersetzen vom Firmendeutsch ins Normaldeutsch.
Da gäbe es viel zu tun. Denn die Werbeabteilungen mancher Firmen erfinden immer wieder neue Wörter. Oder sie verwenden die Wörter auf eine neue Art. Beispiel: Wenn eine Firma die Preise «anpasst», dann bedeutet dies, dass sie die Preise erhöht. Wenn eine Bank dagegen die Zinsen «anp...
Es müsste mehr Dolmetscher geben. Nicht für Deutsch, Französisch oder so. Nein, eher für das Übersetzen vom Firmendeutsch ins Normaldeutsch.
Da gäbe es viel zu tun. Denn die Werbeabteilungen mancher Firmen erfinden immer wieder neue Wörter. Oder sie verwenden die Wörter auf eine neue Art. Beispiel: Wenn eine Firma die Preise «anpasst», dann bedeutet dies, dass sie die Preise erhöht. Wenn eine Bank dagegen die Zinsen «anpasst», dann tut sie das Gegenteil. Sie erhöht die Zinsen nicht. Sie senkt sie. Aber natürlich kann eine Firma auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) «anpassen». Dann bedeutet «anpassen» wieder etwas anderes. Nämlich: verschlechtern. Zumindest für die Kunden.
Hin und wieder lese ich, dass für eine Firma die gegenwärtige Situation mit einer hohen Teuerung «anspruchsvoll» oder «herausfordernd» sei. Normaldeutsch hiesse das: schwierig. Aber dieses Wort ist auf dem besten Weg, in Vergessenheit zu geraten. Weil keine Firma in Schwierigkeiten sein will.
Kürzlich war ich mit meiner Frau auf dem Berner Hausberg, dem Gurten. Wir kehrten im «Selbstwahlrestaurant» Tapis Rouge ein. Ich war ein bisschen irritiert. Denn eigentlich darf der Gast ja in jedem Restaurant selbst wählen. Bis ich merkte: Es ist ein Selbstbedienungsrestaurant. Wenn die Gäste selbst wählen dürfen, dann tönt das halt besser, als wenn sie sich selbst bedienen müssen.
Mein Lieblingswort aber hörte ich in einem Zug der Lötschberg-Bahn. Wir waren mit einer ordentlichen Verspätung – ja, so hiess das früher – unterwegs. Da tönte es aus dem Lautsprecher: «Wir kommen nach einer Fahrzeitverlängerung von elf Minuten in Bern an.»