Kolumne: Dann halt das «Züri Geschnetzelte»
Inhalt
saldo 12/2023
27.06.2023
Marco Diener
Kürzlich waren wir in der Brasserie Lorraine. Ja genau! Das ist die Berner Quartierbeiz, die letzten Sommer in die Schlagzeilen geriet. In der Pause brachen die Beizer das Konzert der Band Lauwarm ab. Anschliessend erklärten sie auf Facebook: «Während des Konzerts kamen mehrere Menschen unabhängig voneinander auf uns zu und äusserten Unwohlsein mit der Situation.
Es ging dabei um die Thematik ‹kulturelle Aneignung›». ...
Kürzlich waren wir in der Brasserie Lorraine. Ja genau! Das ist die Berner Quartierbeiz, die letzten Sommer in die Schlagzeilen geriet. In der Pause brachen die Beizer das Konzert der Band Lauwarm ab. Anschliessend erklärten sie auf Facebook: «Während des Konzerts kamen mehrere Menschen unabhängig voneinander auf uns zu und äusserten Unwohlsein mit der Situation.
Es ging dabei um die Thematik ‹kulturelle Aneignung›». Und: «Wir möchten uns bei allen Menschen entschuldigen, bei denen das Konzert schlechte Gefühle ausgelöst hat. Wir haben es verpasst, uns im Voraus genug damit auseinanderzusetzen und euch zu schützen.»
Das Problem: Die Band spielte Reggae. Zwei Musiker trugen Rastalocken und Kleider aus Gambia und dem Senegal – obwohl alle fünf Bandmitglieder weisshäutig sind.
Aber ich schweife ab. Wir studierten also die Speisekarte und staunten: Da war etwa Focaccia im Angebot. Keine urschweizerische Speise, sondern ein italienisches Fladenbrot. Dann gabs auch Seitan, einen Fleischersatz aus Weizeneiweiss, der ursprünglich aus Japan stammt. Auch Hummus stand auf der Speisekarte – ein Kichererbsenmus aus dem arabischen Raum. Und Kebab. Eigentlich eine «kulturelle Aneignung» aus der Türkei.
Selbstverständlich gab es auch Schoggi-glace. Die Kakaobohnen stammen heute hauptsächlich aus Ländern, die einst übelst ausgebeutet wurden: aus der Elfenbeinküste, Ghana und Indonesien – früher Kolonien von Frankreich, Grossbritannien und Holland.
Um einem Unwohlsein vorzubeugen, bestellten wir «Züri Geschnetzeltes» mit Rösti. Aber vielleicht ist das für uns Berner ja auch eine «kulturelle Aneignung».