Warum nicht nur das ersetzen, was kaputt ist?» Das fragt sich der Knie-Chirurg Thomas-Oliver Schneider in einem Aufsatz, den er ins Internet gestellt hat. Der Arzt der Hirslanden-Klinik Permanence in Bern gibt die Antwort gleich selber: Teilprothesen seien fürs Knie in vielen Fällen besser als eine Vollprothese. Diese neuere Methode habe sich in der letzten Zeit «etabliert».
Dabei schneiden die Chirurgen nur jenen Teil des Knieknochens an, der tatsächlich geschädigt ist, und setzen sodann an dieser Stelle künstliche Gelenkteile ein. Insbesondere Patienten unter 60 Jahren würden profitieren. Mit der Teilprothese könne man besser Sport treiben und sei beweglicher als mit der Vollprothese. Ähnlich argumentiert der Chirurg und Chefarzt Näder Helmy vom privaten Bürgerspital Solothurn. Der Eingriff führe zudem zu einer «geringeren Belastung» und einer «kürzeren Erholungszeit».
Doch in Untersuchungen schneidet die Teilprothese schlechter ab, als die Werbung verspricht. So halten die Teilprothesen nicht so lange wie eine Vollprothese, bei der die Chirurgen das gesamte Kniegelenk ersetzen. Deutlich machten das kürzlich auch Forscher der englischen Oxford University im Fachblatt «Lancet». Sie werteten die Daten von rund 25 000 Patienten mit Teil- und 76 000 Patienten mit Vollprothese aus. Dabei konnten sie auf das weltweit grösste Register mit operierten Patienten zurückgreifen. Zwar verliessen Patienten mit einer Teilprothese schneller das Spital, weil der Eingriff kleiner und etwas weniger riskant ist. In den folgenden acht Jahren mussten die Ärzte bei Patienten mit Teilprothesen aber doppelt so häufig nachoperieren wie bei einer Vollprothese.
Auch das schwedische Register zeigte auf: Bei 130 von 1000 in Schweden eingesetzten Teilprothesen war nach zehn Jahren ein neuer Eingriff nötig, bei Vollprothesen nur bei etwa 25 von 1000. Der Grund, so Fachleute: Viele Patienten mit Arthrose bekommen fälschlicherweise eine Teilprothese. Sandro Kohl, Kniespezialist am Inselspital in Bern: «Die Zahl der erneuten Operationen ist so hoch, weil der Arzt die Teilprothese häufig einsetzt, obwohl sich das Knie gar nicht dafür eignet.» So müsse das Knie an sich noch stabil sein, also die Bänder sollten noch in Ordnung und nur ein Teil der Gelenkflächen beschädigt sein.
«Viele Patienten bekommen die Prothese zu früh»
Viele Ärzte hätten zudem zu wenig Fachwissen, um eine Teilprothese korrekt einzusetzen. Kohl: «Um eine Teilprothese richtig gut einzusetzen, sodass sie keine Beschwerden macht und lange hält, braucht es viel Erfahrung und Routine.» Richtig eingesetzt, hält die Teilprothese die Belastung aus, die gerade jüngere und aktive Patienten an sie stellen.
Auch der Winterthurer Orthopäde Luzi Dubs warnt, sich vorschnell zu einer Operation verleiten zu lassen: «Viele Patienten bekommen die Prothese zu früh, wenn die anderen Therapien noch nicht ausgeschöpft sind.» Manchmal löse auch nicht Arthrose, sondern nur ein geschädigter Meniskus die Schmerzen aus. Die Prothesenindustrie habe ein Interesse daran, Patienten früh mit einer Teilprothese zu versehen. Dubs: «Denn dann folgt irgendwann automatisch die Vollprothese.»
Deshalb gilt: Eine Prothese ist die letzte Therapieoption. Patienten sollten zuvor alle anderen Therapien ausschöpfen. Das ist wichtig: Eine Teilprothese hält etwa zehn Jahre, eine Vollprothese vielleicht doppelt so lang. Kohl: «Eine Prothese ist letztlich immer eine reine Schmerztherapie.»
Bei Arthrose verringert sich der Spalt zwischen den Gelenken, weil sich Knorpel abnützen oder zurückziehen. Heilen lässt sich das nicht, aber allein mit Physiotherapie kann man die Schmerzen lange Zeit in Schach halten. Dazu gehören Heilgymnastik, Dehnungsübungen und Aufbau der Muskulatur. Auch Wärme oder die Behandlung mit elektrischem Strom können die Beschwerden lindern. Oft stimmt zudem bei Arthrose die Statik des Skeletts nicht, wie Physiotherapeutin Monika Conus vom Wirbelteam in Biel sagt: «Dadurch ziehen alle Muskeln und Sehnen falsch.» Wenn man dieses Ungleichgewicht gezielt ändert, entlastet man die Gelenke und vermindert das Abnützen im Knie.
Übergewichtige Patienten sollten versuchen abzunehmen, um den Druck auf das Gelenk zu reduzieren. Über kurze Zeit helfen Kortisonspritzen und Schmerzmittel wie Paracetamol. Auch eine Korrektur der Knochenachse kann das künstliche Gelenk hinauszögern. Kohl: «Diese Operation eignet sich für sportlich Aktive, die zu jung für ein künstliches Gelenk sind und ihr eigenes Gelenk erhalten wollen.» Chirurgen trennen den Knochen unterhalb des Gelenks durch und fügen vorübergehend eine Platte ein. Eine Übersichtsarbeit zeigt, dass in den folgenden zehn Jahren nur jeder sechste ein künstliches Gelenk brauchte.
Akupunktur, Chondroitinsulfat, Einlagen oder Spritzen mit Hyaluronsäuren bringen laut Studien zwar keinen Nutzen. Kohl rät dennoch: «Man kann sie ausprobieren.» Manchen helfen sie zeitweise über die Schmerzen hinweg. Von Präparaten zum Knorpelaufbau wie Fischknorpelextrakt rät er ab. Sie wirkten nicht besser als ein Scheinmedikament. Auch Spülungen des Gelenks brächten keine guten Resultate.
Mit 67 Jahren dank Vollprothese wieder Lebensqualität
Erst wenn all diese Therapien keinen Erfolg bringen und die Schmerzen unerträglich werden, sollten Patienten an eine Knieprothese denken. Moderne Prothesen erlauben nicht nur das Beugen, Strecken und In-die-Hocke-Gehen, sondern auch die natürliche Rotationsbewegung.
Die 67-jährige Erika Eugster aus Volketswil bekam vor drei Jahren eine Vollprothese. Sie hatte kaum mehr Knorpel im Gelenk. Über zehn Jahre lang versuchte sie, die Schmerzen mit Kortisonspritzen, Akupunktur und Präparaten zu lindern. «Alles wirkte nur kurze Zeit.» Heute kann sie wieder turnen, Velo fahren und gehen: «Ich habe wieder eine tolle Lebensqualität.»
Chefarzt Näder Helmy vom Bürgerspital Solothurn schreibt saldo, es hänge wesentlich von der Erfahrung des Chirurgen und zusätzlichen Hilfssystemen ab, ob man bei Teilprothesen nachbessern müsse. Es sei gelungen, durch patientenspezifisches Herstellen der Prothese «die Fehlplatzierung massiv zu reduzieren». Helmy räumt ein, dass das Stellen der Diagnose «oft falsch» erfolge.
Hirslanden-Chirurg Thomas-Oliver Schneider sagt, man müsse eine Teilprothese nach «strengen Richtlinien» einsetzen, sonst sei der Misserfolg programmiert. Stimme jedoch alles überein, sei der Erfolg «sehr gut».