Klinische Studien: Keine Publikation, wenn die Resultate nicht passen
Viele Pharmafirmen verschweigen unliebsame Ergebnisse klinischer Tests. Experten fordern eine Pflicht zur Veröffentlichung.
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saldo 02/2010
31.01.2010
Letzte Aktualisierung:
02.02.2010
Eric Breitinger
Das Mittel Synvisc hilft nach Angaben des Herstellers bei Arthrosen am Knie infolge einer Verletzung. Der Arzt müsse drei Spritzen mit Synvisc-Lösung injizieren. Kosten: 500 Franken. Das Präparat schmiere dann das Gelenk besser und lindere die Schmerzen, behauptet der Hersteller. Ob das stimmt, ist unklar. Laut Kritikern kann der Hersteller die Wirksamkeit nicht ausreichend durch Studien belegen. Dennoch sollten die Unfallversicherer für diese Behandlung Verunfallter aufko...
Das Mittel Synvisc hilft nach Angaben des Herstellers bei Arthrosen am Knie infolge einer Verletzung. Der Arzt müsse drei Spritzen mit Synvisc-Lösung injizieren. Kosten: 500 Franken. Das Präparat schmiere dann das Gelenk besser und lindere die Schmerzen, behauptet der Hersteller. Ob das stimmt, ist unklar. Laut Kritikern kann der Hersteller die Wirksamkeit nicht ausreichend durch Studien belegen. Dennoch sollten die Unfallversicherer für diese Behandlung Verunfallter aufkommen.
Die Schweizerische Unfallversicherung (Suva) und der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) liessen deshalb ab 1999 Synvisc in einer entsprechenden Studie an der Zürcher Klinik im Park testen. Die Verbände zahlten die Untersuchungen und die Entschädigung der Probanden. Synvisc-Hersteller Genzyme stellte das Präparat für die rund 100 Testpersonen zur Verfügung.
Laut Insidern belegte die Studie die Wirkung von Synvisc nicht
Auch sieben Jahre nach Abschluss der Studie wissen weder Ärzte noch Patienten, was herauskam. Kein Fachartikel ist je erschienen. Laut SVV-Sprecher Frank Keidel hat «Genzyme verboten, die Ergebnisse der Studie zu veröffentlichen». Möglich mache das eine entsprechende Vertragsklausel. Genzyme erklärt, dass «die damals Zuständigen nicht mehr bei der Firma sind. Die Entscheidung, Ergebnisse zu veröffentlichen, obliegen normalerweise den Studienleitern». Der im konkreten Fall verantwortliche Studienleiter äussert sich nicht auf Anfrage. Laut Insidern konnte die Studie eine Wirksamkeit der Synvisc-Spritzkur nicht belegen.
Das ist kein Einzelfall. Viele brisante Ergebnisse klinischer Studien bleiben unpubliziert (saldo 9/09). Wissenschafter der Uni Bern überprüften für eine 2008 publizierte Studie, ob die Ergebnisse von 451 von der Berner Ethikkommission genehmigten Studien je in einer Fachzeitschrift erschienen. Fazit: Bei 48 Prozent war das nicht der Fall.
International sieht es nicht besser aus: Übersichtsstudien zufolge werden weltweit 30 bis 50 Prozent der Ergebnisse aller klinischen Studien nie veröffentlicht. Eine Hauptursache hierfür ist, dass laut Schätzungen 80 Prozent aller klinischen Studien von den Herstellern der Medikamente oder Medizinalprodukte finanziert sind.
Diese spielen oft eine unrühmliche Rolle: «Die Testergebnisse, die sich nicht vermarkten lassen, werden seltener veröffentlicht als Ergebnisse, welche ein Produkt vorteilhaft erscheinen lassen», sagt Peter Jüni, Abteilungsleiter Klinische Epidemiologie und Biostatistik am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Bern. Dabei gebe es heute genügend Zeitschriften, die auch negative Resultate veröffentlichten.
«Patienten kommen nicht zum bestmöglichen Medikament»
Für die Pharmakonzerne geht es um viel Geld. Grössere Medikamententests an Menschen kosten laut Jüni schnell einmal 50 Millionen Franken. Kommt dann heraus, dass das Präparat nichts taugt, kann der Aktienkurs des Herstellers absacken.
Das hat Konsequenzen für die Patienten: «Infolge der selektiven Veröffentlichungspraxis erhalten Patienten oft nicht die bestmöglichen Medikamente», sagt Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik». Schliesslich informieren sich die meisten Ärzte über die Fachliteratur. Stehen dort bei bestimmten Präparaten nur positive Befunde, täuschen sich die Mediziner leicht über deren Nutzen und unerwünschte Nebenwirkungen.
So verabreichten Ärzte lange Zeit aufgrund einer publizierten Studie Kindern und Jugendlichen das Antidepressivum Paroxetin von Glaxo Smith Kline. Zwei andere Studien des Herstellers zeigten jedoch, dass das Mittel kaum hilft und sogar das Suizidrisiko erhöht. Der Konzern unterdrückte diese neuen Erkenntnisse jedoch, bis das 2004 aufflog.
Experten fordern eine zwingende Offenlegung der Studien
Die Schweiz hinkt im Kampf um mehr Transparenz hinterher (siehe unten). Zahlreiche unabhängige Experten fordern deshalb strengere Richtlinien. Für Gregor Schubiger, Präsident der kantonalen Ethikkommissionen, ermöglicht nur «ein öffentliches Register eine gewisse Kontrolle, dass auch negative Studienergebnisse publiziert werden».
Gleich sieht es Peter Jüni: «Die Offenlegung aller Ergebnisse sind wir den Patienten und allen Teilnehmern an klinischen Tests schuldig.» Und Etzel Gysling fordert strikte Vorgaben: «Die Registrierung muss alle ursprünglichen Zielsetzungen der Projekte umfassen. Diese darf später keiner mehr ändern.» Damit will Gysling Manipulationen von Studienergebnissen erschweren.
Diese sind gang und gäbe. Jüngst überprüften französische Forscher 147 Artikel aus Medizinzeitschriften daraufhin, ob die publizierten Testergebnisse von den ursprünglichen Forschungszielen abwichen. Das traf bei jeder dritten Studie zu. Laut Jüni handelt es sich häufig um bewusste Verfälschungen: «Wenn manchen Forschern die Ergebnisse einer ursprünglich geplanten Analyse nicht gefallen, wählen sie eine andere, bei der etwas Passendes herauskommt.» Auch auf diese Weise liessen sich unliebsame Ergebnisse beschönigen.
Abstimmung: Ein Register ist in weiter Ferne
Am 7. März wird über ein neues Humanforschungsgesetz abgestimmt. Es sieht den Aufbau eines öffentlichen Registers für klinische Studien vor, in dem alle bewilligten Forschungsprojekte am Menschen einzutragen sind. Das neue Gesetz schreibt aber keine Registrierungspflicht für die Forschungsergebnisse vor. «Dies ist zurzeit noch nicht bestimmt», sagt die Expertin des Bundesamtes für Gesundheit. Das müsste der Bundesrat per Verordnung regeln. Bis dahin dürften noch Jahre vergehen – wenn das Gesetz angenommen wird.
Im Ausland ist man bedeutend weiter: Die US-Regierung geht bereits heute gegen Heimlichtuer vor. In den USA müssen seit September 2008 Hersteller alle wesentlichen Ergebnisse aus klinischen Studien mit Heilprodukten, für die sie eine Zulassung beantragen, auf der Datenbank clinicaltrials.gov veröffentlichen. Bis Ende 2010 will auch die Europäische Union nachziehen. Die Europäische Arzneimittelagentur EMEA soll ihre interne Datenbank öffnen. Sie enthält die Resultate aller ab 2004 in der EU durchgeführten klinischen Prüfungen.