Allergien zählen heute zu den häufigsten Krankheiten. Jeder zweite Europäer hat die Veranlagung, eine Allergie zu entwickeln. Das schreibt die European Academy of Allergy and Clinical Immunology, ein Verband aus über 50 nationalen Allergie-Gesellschaften. Tatsächlich leiden über 500 Millionen Menschen weltweit an einer allergischen Nasenentzündung. In der Schweiz sind es rund 2 Millionen Menschen.
Dabei handelt es sich um einen allergischen, meist pollenbedingten Schnupfen oder kurz Heuschnupfen. Die typischen Symptome sind verstopfte oder laufende Nase, Niesattacken und Juckreiz. Viele Betroffene fühlen sich in der Pollensaison geschwächt und haben grippeähnliche Beschwerden wie Gliederschmerzen. Ein Drittel der Patienten entwickelt mit der Zeit ein Pollenasthma.
Ursache für diese allergischen Beschwerden sind in erster Linie die Pollen von Bäumen und Gräsern. Doch die Natur allein ist nicht schuld daran, dass Heuschnupfen zu einer Volkskrankheit des 20. Jahrhunderts wurde. Die Zunahme von Heuschnupfen und anderen Pollenallergien ist hausgemacht. Brunello Wüthrich, ehemaliger Professor und früherer Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich, sagt: «Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Zahl der Pollenallergiker seit den 1960er-Jahren in den Industrieländern beständig steigt.»
Luftschadstoffe sind schon an sich sehr gesundheitsschädigend. Sie können Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, allergischen Schnupfen oder Asthma sowie Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems auslösen. Kommen steigende Temperaturen dazu, sind «der Klimawandel, CO2, Autoabgase und Ozon ein Turbo für Allergene», stellt Rudolf Valenta, Professor für Allergologie an der Medizinischen Universität Wien, in seinem «Anti-Allergie-Buch» fest.
Klimaerwärmung führt zu einer längeren Pollenflugsaison
Dabei beeinflussen und verstärken sich diese Faktoren gegenseitig. Die Klimaerwärmung führt gemäss Wüthrich zu einer verlängerten Pollenflugsaison, einer Zunahme der Pollenmenge, zu mehr Unkraut, einer steigenden Vegetationshöhe sowie einer vermehrten Verbreitung von Pflanzen, die warme Temperaturen lieben. Die freigesetzte Pollenmenge hat sich laut Meteo-Schweiz in Basel allein von 1969 bis 1995 bei Birkenpollen um das Doppelte, bei Gräserpollen um das Zweieinhalb- und bei Haselpollen um das Vierfache erhöht. 2012 fand die Technische Universität München in einer Studie zu 13 europäischen Staaten heraus, dass in städtischen Gebieten die Pollenmenge im Durchschnitt um 3 Prozent pro Jahr ansteigt, in ländlichen Gegenden um 1 Prozent.
Kein Wunder, sind die Heuschnupfenhäufigkeit und die Pollensensibilisierung in verkehrsreichen Gebieten sehr viel stärker ausgeprägt als in ländlichen Regionen oder in Berggebieten. Das ergab eine Langzeitstudie über Luftverschmutzung und Lungenkrankheiten unter der Leitung des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts. Die Erklärung dafür: Die Menge wie auch die allergene Wirkung der Pollen wird durch die Luftschadstoffe erhöht. So fördern einerseits die verkehrsbedingt höheren CO2-Werte den Pflanzenwuchs und damit die Pollenproduktion. Der Wiener Professor Rudolf Valenta bezeichnet denn auch Kohlendioxid als «chemischen Dünger für Pflanzen». Zum an sich für den Menschen ungefährlichen Treibhausgas kommen giftige Substanzen wie Stickoxide, Feinstaub wie Dieselrusspartikel oder Reifenabrieb sowie Ozon hinzu, welche die allergische Reaktion verstärken und das Asthma verschlimmern. Allergiespezialist Wüthrich weiss: «Bei Leuten, die an allergischem Schnupfen und allergischem Asthma leiden, nimmt die Intensität der Symptome unter Schadstoffbelastung zu.»
Immer mehr Menschen über 60 haben Heuschnupfen
Die zunehmende Aggressivität der Pollen löst auch bei älteren Leuten Allergien aus, die früher nie mit Heuschnupfen zu kämpfen hatten. Brunello Wüthrich konnte 2012 deutlich belegen, dass in der Schweiz die Allergiehäufigkeit bei Patienten über 60 Jahren wesentlich häufiger war als bisher angenommen. Eine kürzlich veröffentlichte Auswertung der Patientendaten der deutschen Kaufmännischen Krankenkasse bestätigt das: In der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen liegt die Zunahme von 2008 auf 2018 bei 27 Prozent. Bei den 65- bis 79-Jährigen waren es 43 Prozent, und in der Generation 80 plus hatte sich die Zahl der Pollenallergiker sogar mehr als verdoppelt. Bei älteren Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist, kann ein einfacher Heuschnupfen schwerwiegende Folgen haben.