Wäre es nach dem Bündner Stromkonzern Repower gegangen, würden im Val Chamuera bei La Punt GR bald die Bagger auffahren. Doch das wildromantische kleine Tal, das unter Naturschutz steht, bleibt unversehrt. Die Gemeindeversammlung hat ein Wasserkraftwerkprojekt mit 74 Nein- zu 64 Ja-Stimmen bachab geschickt. Das Kleinwasserkraftwerk mit einer Leistung von 3,5 Megawatt hätte 2800 Haushalte versorgt und der La Punt jährlich 100 000 Franken in die Kasse gespült. Doch die Stimmbürger gewichteten die Natur höher als das Geld.
Das ist die Ausnahme. In der Schweiz sind zurzeit 1049 Kleinwasserkraftwerke in Betrieb. Diese produzierten im letzten Jahr 3,93 Milliarden Kilowattstunden Strom. Das entspricht bloss 6,6 Prozent des schweizerischen Strombedarfs. Als Kleinwasserkraftwerk gelten Anlagen mit einer Leistung von weniger als 10 Megawatt. Zum Vergleich: Das Speicherkraftwerk Grande Dixence VS hat eine Leistung von 680 Megawatt.
Schweiz nutzt Wasserkraft am meisten aus
Eine WWF-Studie kommt zum Schluss, dass sich die Fliessgewässer im ganzen Alpenbogen – von Frankreich bis Slowenien – in einem «dramatischen Zustand» befinden. Laut WWF schneidet die Schweiz besonders schlecht ab: Kein Alpenland erzeuge pro Quadratkilometer Fläche auch nur annähernd so viel Wasserstrom und habe seine Flüsse so stark verbaut. Das ebenfalls stark von den Alpen geprägte Österreich komme auf gut die Hälfte der Schweizer Ausbeute. Laut Christopher Bonzi, Leiter des WWF-Wasserprogramms, nutzt die Schweiz schon jetzt über 90 Prozent ihres Wasserkraftpotenzials.
Der WWF stellt sich gegen den Bau von weiteren Kleinwasserkraftwerken. Sie würden nur wenig Strom produzieren und seien «für die Energiewende nicht ausschlaggebend». Der WWF argumentiert, dass Wasserkraftwerke den natürlichen Verlauf und die Dynamik von Fliessgewässern beeinträchtigen. Zudem bedrohten sie Tiere und Pflanzen im und am Wasser. «Wir dürfen Flüsse und Bäche nicht nur als Energielieferanten betrachten. Die letzten Gewässerperlen müssen geschützt werden», sagt Bonzi.
Im Wallis kämpft der WWF gegen das bewilligte Kleinwasserkraftwerk Breithorn-Fafleralp. Er kritisiert, dass «ein einmaliges und bisher unversehrtes Tal für wenig Strom geopfert» werden soll. Auch gegen die Pläne der Centralschweizerischen Kraftwerke AG läuft der WWF Sturm: Das Energieunternehmen will an der ökologisch wertvollen Waldemme im Kanton Luzern ein neues Kraftwerk bauen.
In anderen Gemeinden kommt die Warnung des WWF zu spät: Im Oktober wurde in Ardez GR das Kleinwasserkraftwerk Tasnan mit einer Leistung von 6,5 Megawatt eingeweiht.
Allein im letzten Jahr sind in der Schweiz 15 neue Kleinwasserkraftwerke in Betrieb genommen worden. Dieser Boom hat einen Grund: Das Geld aus Bern. Der Bund fördert die Anlagen mit einer kostendeckenden Einspeisevergütung. Eine Grundvergütung von bis zu 26 Rappen pro Kilowattstunde erhalten Kleinstkraftwerke, die vor Ende Dezember 2013 in Betrieb gingen – und das während 25 Jahren. Neue Kraftwerke profitieren noch
20 Jahre von Vergütungen. Und die allerkleinsten Kraftwerke an natürlichen Gewässern mit einer Leistung bis 300 Kilowatt erhalten nur noch 16,1 Rappen pro Kilowattstunde. Allerdings sind die kleinsten Werke von den Wasserzinsen ausgenommen. Das heisst: Der Bau neuer Kleinwasserkraftwerke ist weiterhin attraktiv.
Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie verteidigt die Förderung von Kleinwerken. Diese seien Teil der Energiestrategie des Bundesrats, die den Ausstieg aus der Atomenergie zum Ziel habe. «Einzelne Massnahmen aus diesem Paket können nur weggelassen werden, wenn sie an anderer Stelle kompensiert werden.» Sie erklärt, dass der Bund nur Kleinwasserkraftwerke fördere, welche die Anforderungen punkto Umwelt-, Natur- und Heimatschutz erfüllen würden.
Umweltverbände wie der WWF befürworten zwar die Energiewende, möchten aber auf den Bau von Kleinwasserkraftwerken an unversehrten Bach- und Flussläufen verzichten. Sie fordern mehr Phtovoltaik- und Windenergieanlagen, mehr Strom aus der Verwertung von Abfällen und den Ausbau bestehender Wasserkraftwerke. Zudem soll der Stromverbrauch durch effizientere Geräte, Beleuchtungen und Anlagen stabilisiert werden. Die Umweltverbände sind überzeugt, dass so die Stromversorgung gewährleistet werden kann, «ohne den letzten freifliessenden Bach und die Landschaft unserer Heimat zu opfern».
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