Klagen über angeblich klamme öffentliche Kassen haben schon lange Konjunktur. Vor einem Jahr nahm saldo deshalb die Bundesfinanzen genauer unter die Lupe. Der Befund: «Von einem Finanzloch kann keine Rede sein» (Ausgabe 5/2024). Denn in den 20 Jahren seit 2004 floss ein Überschuss von 3,2 Milliarden Franken in die Bundeskasse.
Kantone verschätzten sich um 46 Milliarden Franken
Eine weitere saldo-Analyse weist jetzt nach: Den Kantonen erging es im gleichen Zeitraum noch viel besser. Das geht aus ihren Rechnungsabschlüssen von 2004 bis 2023 hervor. Sie zeigen:
- In der Summe schlossen die Rechnungen der Kantone in 18 der ausgewerteten 20 Jahre besser ab als budgetiert – und dies zum Teil deutlich: Die Differenz zwischen prognostiziertem und erzieltem Rechnungsergebnis betrug in der Hälfte der Jahre mehr als 2 Milliarden Franken.
- Über die 20 Jahre hinweg schrieben die 26 Kantone zusammen einen Überschuss von 28,4 Milliarden Franken. Laut ihren Budgets hätte ein Defizit von 17,6 Milliarden resultieren sollen. Die Kantone «verschätzten» sich also um die gigantische Summe von 46 Milliarden Franken. Rote Zahlen gab es nur in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Neuenburg, Obwalden und Tessin.
- Mit Basel-Landschaft schnitt gar nur ein einziger Kanton in den 20 Jahren schlechter ab, als er es budgetiert hatte. In allen anderen Kantonen war es umgekehrt – besonders markant in Basel-Stadt, Genf, Waadt und Zürich: Jeder dieser Kantone übertraf seine Prognose um gesamthaft mehr als 5 Milliarden Franken.
- Am häufigsten zu schwarz malten die Kantone Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt, Graubünden, Schaffhausen, Thurgau und Uri: Ihre Rechnungsabschlüsse waren in 19 der ausgewerteten 20 Jahre besser als budgetiert.
Warum stellen die Kantone so häufig triste Finanzprognosen auf? Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (SVP) sagt, man kalkuliere nicht pessimistisch, lasse aber «eine gesunde Vorsicht walten». Und weiter: «Wo Unsicherheiten bestehen, budgetieren wir die Ausgaben mit einer gewissen Reserve und die Einnahmen zurückhaltend.»
Bei der Budgetierung der Einnahmen aus Firmensteuern etwa stütze man sich weitgehend auf die Gewinnprognosen der im Kanton ansässigen Unternehmen ab. Und diese seien unsicher, zum Beispiel wegen der Entwicklung der Börsenkurse oder der Auftragslage.
Steuerzahler zahlen zu viel im Verhältnis zu den Leistungen
Der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) begründet die Abweichungen zwischen Rechnung und Budget vorab mit «nicht erwartbaren Effekten». Dazu zählen etwa Ausschüttungen der Nationalbank, aber auch der boomende Immobilienmarkt, der in den letzten Jahren «namhafte Aufwertungen» bewirkt habe.
Auch die übrigen befragten Kantone verweisen auf «nicht planbare», «ausserordentliche» und «unkontrollierbare» Einflussfaktoren. Sein Kanton budgetiere deshalb «bewusst konservativ», sagt etwa Ruedi Eberle (SVP), Säckelmeister des Kantons Appenzell Innerrhoden.
Allerdings: Eine regelmässig und deutlich zu pessimistische Budgetierung hat auch ihre Schattenseiten. Zu diesem Schluss kommt die wirtschaftsnahe Stiftung Avenir Suisse in einer Analyse von Ende 2023. Darin hält sie fest, langjährige Überschüsse seien nicht generationengerecht. «Bei laufenden Überschüssen zahlen die aktuellen Steuerzahler zu viel im Verhältnis zu den Leistungen, die sie erhalten.»
Der Kanton Schaffhausen unterstreicht gegenüber saldo denn auch, er habe «auf die positive Entwicklung reagiert» und seit 2018 regelmässig die Steuern gesenkt – für die natürlichen Personen um insgesamt über 30 Prozent.
Grotesker Streit um Entlastung der Bundeskasse
Demgegenüber warnte die Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren noch vor knapp zwei Jahren vor finanziell unsicheren Zeiten. Nicht zuletzt drohten die geplanten Massnahmen zur Entlastung der Bundeskasse die Kantonsfinanzen zu belasten.
Tatsächlich will der Bundesrat mit dem «Entlastungspaket 27» die Rechnung des Bundes ab 2027 um 2,7 bis 3,6 Milliarden Franken verbessern – auch durch die Verschiebung von Kosten etwa in den Bereichen Asyl und öffentlicher Verkehr an die Kantone.
Der Präsident der Finanzdirektoren, Ernst Stocker, kritisierte kürzlich in der «Handelszeitung»: «Die Sanierung der Bundesfinanzen darf nicht auf Kosten der Kantone erfolgen.» Nur: Hält man sich vor Augen, dass Bund und Kantone in den 20 Jahren ab 2004 fast 32 Milliarden Franken Gewinn schrieben, ist das ein ziemlich grotesker Streit.
Einige Kantone könnten Steuern deutlich senken
Dank hohen Rechnungsüberschüssen konnten viele Kantone in den letzten Jahren ihr Eigenkapital, also ihr Reinvermögen, erhöhen. Dieses betrug zum Beispiel im Kanton Zürich Ende 2023 11,8 Milliarden Franken.
Auch der Kanton Basel-Stadt verfügt mit 6,8 Milliarden über ein dickes Finanzpolster, gefolgt von Luzern, Graubünden und Zug. In diesen vier Kantonen hätte das Kapital sogar ausgereicht, um mehr als eine Jahresausgabe daraus zu bestreiten.
Oder salopp formuliert: Sie hätten sich über ein Jahr lang ohne Einnahmen finanzieren können. Der Kanton Zürich dagegen hätte das trotz «Rekordvermögen» nicht geschafft.