Für den Fotografen Kurt Amsler aus Wädenswil ZH ist Change.org ein «bewährtes Mittel», um für seine Anliegen zu mobilisieren. In seiner letzten Petition verlangte er die «Höchststrafe gegen den Hundemörder von Aarburg». Dieser soll zwei Rehpinscher ertränkt haben. 8768 Unterstützer unterschrieben. Auch viele andere Schweizer nutzen die Plattform: Angestellte der Uni Zürich etwa sammeln Unterschriften, damit Migros-Restaurants weiterhin Lunchchecks akzeptieren. Ein Zürcher will, dass die Schweiz mehr Flüchtlinge aufnimmt. Eine Frau fordert, Verpackungsmüll zu reduzieren.
Mehr Daten gesammelt als bei allen Parteien zusammen
Daniel Graf, Experte für digitale Kampagnen in Zürich, hält Change.org für die professionellste Plattform ihrer Art. Sie ermögliche Einzelpersonen, ein Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen, um Druck auf Verantwortliche auszuüben. Er bescheinigt der Plattform aber auch ein Transparenzproblem. Es sei unklar, was die Betreiber mit den Daten anstellen.
Um eine Petition zu unterzeichnen, muss man Namen, Wohnort und Mailadresse angeben. Graf sagt: «Change.org besitzt mehr Adressen von politisch interessierten Schweizern als alle Parteien zusammen.» Change.org ist ein 2007 gegründetes Unternehmen mit Sitz in San Francisco (USA). Zu den Finanzgebern gehört Microsoft-Gründer Bill Gates. Unbestritten ist, dass die US-Firma Mailadressen von Benutzern der Plattform verkauft. Die deutschen Ableger von WWF, Oxfam und Unicef räumen gegenüber saldo ein, für «gesponserte» Petitionen bezahlt zu haben. Change.org lieferte ihnen die E-Mail-Adressen der Unterzeichner – immerhin nur nach deren Einwilligung.
Laut der italienischen Zeitschrift «L’Espresso» kostet jede Adresse zwischen 90 Rappen und Fr. 1.60. Der Verein Foodwatch.org bestätigt, «Preise in dieser Grössenordnung» für die Vermittlung von Newsletter-Abonnenten bezahlt zu haben. Man habe aber die Kooperation eingestellt. Unklar ist, wie Change.org ihre Daten sonst noch zu Geld macht. Im Sommer verlieh der deutsche Verein Digitalcourage der «Datenkrake Change.org» den jährlichen Schmähpreis Big-Brother-Award.
Der ehemalige Datenschützer von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, wirft der Plattform vor, sie biete «keine ausreichende Sicherheit für den Schutz sensibler persönlicher Daten über politische Meinungen». Die Plattform verwende Angaben «ohne rechtliche Grundlage» für Werbezwecke. Der Hinweis auf die Nutzungsbestimmungen reiche rechtlich nicht aus.
US-Geheimdienste erhalten Zugang zu den Daten
Rena Tangens von der deutschen Organisation Digitalcourage weist darauf hin, dass Change.org dem Geheimdienst Zugang zu allen Benutzerdaten geben muss: «Die US-Geheimdienste können jederzeit auf Daten zugreifen, die über politische Einstellungen Aufschluss geben.» Auch Francis Meier, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten, rät zur Vorsicht bei der Datenweitergabe an Firmen mit Sitz «in Staaten, die ein ungenügendes Datenschutzniveau aufweisen». Dazu zählt auch die USA. Das Berliner Büro von Change.org nahm auf Anfrage zu den Vorwürfen keine Stellung.