Ein Lastwagen aus Litauen rollt im Schwerverkehrszentrum Ripshausen UR auf den Prüfstand. Ein Sicherheitsassistent der Urner Polizei umkreist den Lastwagen mit einer Taschenlampe. Er überprüft die Dokumente, den Motor, die Bremsen und die Lichter. Dann verschwindet er in einer Kabine, wo er am Computer die Ladung anhand eines Röntgenbilds kontrolliert. Bis jetzt ist alles Routine.
Dann kehrt der gelernte Fahrzeugtechniker mit einem Scanner zum Lastwagen zurück und schliesst ihn neben dem Fahrersitz an das Abgasreinigungssystem und den Fahrtenschreiber an. Dieser ist etwa so gross wie ein Autoradio und liefert Informationen zur gefahrenen Distanz, zur Geschwindigkeit, zur Fahrzeit- und Fahrweise sowie ausserplanmässige Stopps. Die Daten geben Hinweise auf eine mögliche Übermüdung des Chauffeurs und auf den Schadstoffausstoss. Ein Lastwagen, der zu schnell fährt, produziert mehr gesundheitsschädliche Abgase.
Auf der Autobahn Richtung Süden kommt kein Lastwagen um einen Boxenstopp im Schwerverkehrszentrum Ripshausen herum: Der Wagen fährt am Kontrollturm vorbei über eine Vorwaage bis zum Sicherheitsassistenten. Dieser entscheidet, welcher Wagen genauer unter die Lupe genommen wird.
Der litauische Chauffeur darf weiterfahren. «Alles in Ordnung», sagt der Kontrolleur. Das ist längst nicht immer so. Der Prüfstand Ripshausen machte im letzten Jahr 16'000 Stichproben. Bilanz: Etwa die Hälfte der Lastwagen wurde beanstandet, rund 1800 wurden an Ort und Stelle aus dem Verkehr gezogen.
«Ausländische Chauffeure manipulierten die Abgaswerte»
Zahlen des Bundesamts für Strassen zeigen: In den letzten fünf Jahren fiel landesweit bei Kontrollen in Schwerverkehrszentren fast jeder zweite kontrollierte Lastwagen, Sattelschlepper, Lieferwagen oder Bus durch. 2022 waren es 13'849 von 32'153 kontrollierten Fahrzeugen. Am häufigsten waren die Lastwagen zu schwer, hatten technische Mängel oder die Chauffeure sassen zu lange am Steuer.
Laut Stefan Simmen, Chef des Schwerverkehrszentrums Ripshausen, taucht ein Problem öfter auf: Manipulationen an der Fahrzeugelektronik. «2017 stellten wir fest, dass ausländische Chauffeure die Abgaswerte manipulierten. Seither beschäftigt uns die Fahrzeugelektronik vermehrt», sagt Simmen. Er spielt auf den Abgasskandal an, bei dem publik wurde, wie ausländische Chauffeure mit der Flüssigkeit AdBlue verschleierten, dass ihre Lastwagen teilweise bis zu fünfmal so viel Stickstoff ausstiessen als erlaubt.
Dank einem speziell für Ripshausen entwickelten Scanner können die Kontrolleure neu auch illegales Motorentuning aufdecken. Im letzten Jahr gingen laut Simmen 10 Schweizer und 25 ausländische Fahrer ins Netz. 24 Chauffeure hatten über die Bordelektronik das Drehmoment des Motors erhöht und so mehr Leistung herausgeholt.
Zehn weitere setzten den Geschwindigkeitsbegrenzer nach oben. Und ein Chauffeur manipulierte die Software des Fahrtenschreibers und zeichnete die Arbeits- und Ruhezeiten nicht korrekt auf. «Solche Manipulationen können den Bremsweg verlängern», sagt Polizeioberst Simmen.
Seit April kommt das von den Technikern in Ripshausen entwickelte Gerät in den sechs anderen Schweizer Schwerverkehrszentren zum Einsatz. Fazit: Schon wenige Wochen später melden auch das Wallis und Schaffhausen Lastwagen, bei denen der Scanner Manipulationen an der Fahrzeugelektronik anzeigte.
«Wer schnell unterwegs ist, erhält mehr Aufträge»
Ein Chauffeur, der aus Angst vor Sanktionen seines Arbeitgebers anonym bleiben will, erklärt saldo, weshalb er den Motor seines Lastwagens frisierte. Ein schneller Camion sei wie eine «gute Visitenkarte»: für die Speditionsfirma, weil der Transport rascher und somit günstiger erfolge – und für den Chauffeur, weil er Zeit gewinnen könne. «Wer schnell unterwegs ist, erhält mehr Aufträge.» Laut dem Branchenverband Les Routiers Suisses verdient ein Schweizer Fahrer im Durchschnitt zwischen 5300 und 5500 Franken pro Monat, manche ausländischen Fahrer weniger als 4000 Franken.
Stefan Simmen und sein Team kontrollieren bis zu 80 Lastwagen pro Tag. Der grösste Teil stammt aus dem Ausland. Zwar würden auch einheimische Fahrer ihre Lastwagen manipulieren, sagt Simmen. Die Fahrer, die sich korrekt verhalten, kenne man aber: «Nach einigen Fahrzeugen kann man fast die Uhr richten – sie fahren stets zur gleichen Zeit die gleiche Route. Für uns ergibt es keinen Sinn, immer die gleichen Fahrer zu kontrollieren.»