Die Invalidenversicherung unterstützt die Organisationen der Behinderten finanziell, weil sie selbst keine Beratungen anbietet. Nach welchen Kriterien das Geld verteilt wird, ist nicht transparent. Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen und die Bibliothek für Blinde erhalten zusammen 27,2 Millionen Franken pro Jahr. Die Stiftung Pro Mente Sana und der Westschweizer Verband CORAASP, die sich für psychisch Beeinträchtigte einsetzen, müssen 5,5 Millionen Franken unter sich aufteilen.
Gemäss der IV-Statistik 2019 bezogen 48 Prozent der 218 000 IV-Bezüger ihre Rente aufgrund einer psychischen Erkrankung. Trotzdem erhalten deren Organisationen nur knapp 4 Prozent der IV-Gelder. Etwas mehr als 1 Prozent der IV-Bezügerinnen leidet gemäss den Zahlen des Bundesamts für Sozialversicherungen an einer Einschränkung der Sehfähigkeit. Trotzdem erhält der Zentralverein für das Blindenwesen 13 Prozent der total 150 Millionen Franken.
Roger Staub, Geschäftsleiter von Pro Mente Sana: «Die Verteilung der Gelder entspricht nicht den Gegebenheiten.» Das Bundesamt sagt dazu, das Geld werde nicht nach der Anzahl der Betroffenen verteilt, sondern nach den in Verträgen vereinbarten Leistungen der Organisationen.
Diese Verträge werden einfach alle vier Jahre erneuert. Die Verordnung über die Invalidenversicherung zementiert die Verteilung seit 1998. Dies obwohl sich die Zahl der IV-Bezüger mit einer psychischen Erkrankung seither verdoppelt hat – von rund 53 000 auf 104 000 Personen.
Das Parlament äusserte 2020 den klaren Willen, bei der IV-Revision das Hauptaugenmerk auf die Gruppe der psychisch Beeinträchtigten zu legen. Auch das Bundesamt für Sozialversicherungen sah Handlungsbedarf. Eine Studie des Büros Vatter in Bern, das im Auftrag des Bundesamtes Angebot und Bedarf bei der Invalidenhilfe analysierte, hält fest: «Den grössten zusätzlichen Unterstützungsbedarf signalisieren Personen mit psychischer Beeinträchtigung.»
Zurzeit wird die IV-Verordnung revidiert, welche die Verteilung der Gelder regelt. Gemäss Entwurf wird sich an der Verteilung der Gelder aber nichts ändern. 97 Prozent der rund 150 Millionen sollen wie bisher eingesetzt werden. 3 Prozent werden pauschal gekürzt und stehen für neue Projekte zur Verfügung. «Faktisch zementiert der Bund die bestehende Regelung und missachtet den Willen des Parlaments», sagt Roger Staub. «Wir würden gern Treffpunkte für psychisch beeinträchtigte Menschen aufbauen. Doch die Mittel dazu fehlen.»
Viele der anderen Organisationen profitieren vom heutigen Zustand und wollen nicht daran rütteln. In der Vernehmlassung stellte eine Mehrheit die Geldverteilung nicht in Frage. Der Zentralverein für das Blindenwesen erklärt, man halte den Betrag für angemessen. Es sei nicht gerecht, sich nur auf die Anzahl der IV-Bezüger abzustützen. Der Dachverband der Behindertenorganisationen Inclusion Handicap hält fest, es stehe grundsätzlich zu wenig Geld für die Behindertenorganisationen zur Verfügung, sodass Organisationen für psychisch Erkrankte und andere Behindertengruppen zu kurz kämen.