Er habe sich «recht umfassend» vorbereitet, kündigt der 52-jährige Kläger zum Auftakt der Verhandlung am Bezirksgericht Weinfelden TG an. Aus einem dicken Aktenstapel zieht er zwei abgeheftete Bündel. Eines davon übergibt er dem Einzelrichter, das andere der Gegenpartei. Das ist die Rechtsschutzversicherung der Helsana. Sie lässt sich durch einen ihrer angestellten Rechtsanwälte vertreten.
Dann legt der Kläger mit einem Plädoyer in eigener Sache los. In seinem Vortrag lässt er keine juristische Floskel und keine Abkürzung aus. Rasch wird klar: Die Sache ist ziemlich vertrackt.
Der Kläger hat finanzielle Probleme. Mit dem Lohn seiner Frau, die Teilzeit arbeitet, kann sich die Familie kaum über Wasser halten. Vor vier Jahren verlor er seinen Job als IT-Spezialist. Zu schweren Herzproblemen kamen ein Nervenzusammenbruch und eine hartnäckige Depression. Die Visana stellte die Zahlung der Krankentaggelder gestützt auf ein medizinisches Gutachten ein. Es kam zum Schluss, die Arbeitsunfähigkeit sei keine Folge der fraglichen gesundheitlichen Probleme. Gestützt darauf verweigerte auch die Invalidenversicherung eine Rente. Und die Pensionskasse forderte bereits ausgezahlte Rentenleistungen für Invalidität zurück.
Die Anwälte hätten «grobe taktische Fehler» begangen
«Wir laufen gegen die Wand, ich weiss bald nicht mehr, wie wir die Miete zahlen sollen», sagt der 52-Jährige. Die Reserven seien komplett aufgebraucht. Mit einem Prozess gegen die Invalidenversicherung will er das zweifelhafte Gutachten kippen, um doch noch eine IV-Rente zu erhalten. Nach Ansicht des Klägers ist an dem Gutachten fast alles falsch. Die Kosten für den Prozess müsse die Helsana-Rechtsschutzversicherung übernehmen.
Doch Kläger und die Rechtsschutzversicherung gerieten sich in die Haare. Der Grund: Der 52-Jährige überwarf sich nacheinander mit zwei Anwälten. Sie begingen nach seiner Ansicht «grobe taktische Fehler». Daraufhin ging er bei der Aufsichtskommission gegen sie vor. Das sei unnötig gewesen, sagt der Jurist der Rechtsschutzversicherung vor Gericht: «Der zweite Anwalt machte seine Sache gut.» Deshalb habe sie nur einen Teil der Rechnung des dritten Anwalts übernommen. Der Kläger müsse einen Anteil von 3000 Franken für die – selbst verschuldete – Einarbeitung des dritten Anwalts in den Fall selbst übernehmen. Damit war der Versicherte nicht einverstanden. Er verlangt vom Gericht, dass die Helsana zur Übernahme der 3000 Franken verpflichtet wird.
Bloss: Die Rechtsschutzversicherung habe dem Kunden schon vor Jahren eine grundsätzliche Kostengutsprache für das Verfahren erteilt, behauptet ihr Anwalt. Denn auch sie erachtete das Gutachten als fachlich ungenügend und sehe Chancen, dass ihr Versicherter den Fall gewinnt. Es gehe hier einzig um die Kostengutsprache für Einarbeitungskosten des neuen Anwalts.
Am Schluss kommt es zu einem Vergleich
Der Einzelrichter schlägt einen Vergleich vor. Die Rechtsschutzversicherung bietet an, vorerst die volle Anwaltsrechnung zu bezahlen. Dafür erhält sie das Recht, die 3000 Franken später vom Kläger zurückzufordern, wenn er wieder zu Geld gekommen ist. Nach einigem Hin und Her ist die Summe auf 2000 Franken gesunken. Beide Seiten unterschreiben den Vergleich.
Die Rechtsschutzversicherung hilft nicht immer
Mit einer Rechtsschutzpolice kann man längst nicht alle denkbaren Rechtshändel versichern. Nicht versichert sind beispielsweise familienrechtliche Prozesse, Erbstreitigkeiten, Steuerverfahren sowie die meisten Strafverfahren. Auch Verfahren gegen die Rechtsschutzversicherung selbst sind nicht versichert. Sie kann die Übernahme von Prozesskosten zudem generell ablehnen, wenn sie ein Verfahren für aussichtslos erachtet.
Versicherte haben generell die Pflicht, den Schaden so klein wie möglich zu halten. Wer diese Pflicht missachtet, erhält weniger Geld. Bei Rechtsschutzversicherungen heisst das: Die Versicherung ist im Normalfall nicht verpflichtet, die Kosten von mehreren Anwälten zu übernehmen.