Schweden betreibt in Normalzeiten rund 700 Intensivbetten – das sind 200 weniger als die Schweiz. Dies, obwohl Schweden eine Bevölkerung von 10,6 Millionen hat, die Schweiz aber nur 8,8 Millionen. Während der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 stockten beide Länder ihre Kapazität um mehrere Hundert Spitalbetten auf.
Im Verhältnis zur Einwohnerzahl verfügte die Schweiz vor der Pandemie über mehr als doppelt so viele Intensivbetten mit künstlichen Beatmungsmöglichkeiten wie Schweden. Das zeigen Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) und der Europäischen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin.
Dennoch waren es nicht schwedische Ärzte und Spitäler, die bei jeder anrollenden Covid-Welle vor «überfüllten Intensivstationen» warnten, sondern ihre Schweizer Kollegen. So liess sich etwa Hans Pargger, Chefarzt am Universitätsspital Basel, im September 2021 von der Tagespresse mit folgenden Worten zitieren: «Es sind die Patienten, die leiden und schliesslich sterben werden, wenn wir sie nicht behandeln können wie sonst.»
Anders in Schweden. Dort standen in den Intensivstationen gemäss dem nationalen Intensivpflegeregister SIR während der ganzen Pandemie 200 bis 300 Betten leer. Die schwedische Corona-Kommission stellte vergangenes Jahr in einem Bericht zufrieden fest: Das Land sei mit einer geringen Zahl an fest installierten Intensivplätzen gut und sicher durch die Pandemie gekommen. Die schwedische Regierung verzichtete während der Pandemie auch weitgehend auf Coronamassnahmen.
Fixe Ärztelöhne statt Boni für unnötige Eingriffe
In Schweden steuert der Staat das Gesundheitswesen. Patienten können über eine Handy-App rund um die Uhr eine erste telefonische Beratung einholen oder einen ersten Termin in einem lokalen Gesundheitszentrum buchen. Für Ärzte und Spitäler gibt es keine Anreize, möglichst hohe Kosten zu verursachen. Im Unterschied zu vielen Ärzten in der Schweiz haben schwedische Ärzte Fixlöhne. Ein Spezialarzt verdient laut dem schwedischen Ärzteverband im Durchschnitt 6600 Franken im Monat.
In der Schweiz kassieren Ärzte und Spitäler pro Fall. Je mehr Behandlungen und Operationen, desto höher der Ertrag – nicht nur fürs Spital, oft auch für den Arzt. Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit verdient ein angestellter Facharzt im Durchschnitt 16 000 Franken, ein selbständiger Spezialist 21 000 Franken pro Monat. Viele Spitalärzte erhalten Boni, wenn sie mehr Untersuchungen und Operationen durchführen. «Dieses System führt zu einer Mengenausweitung und zu unnötigen Eingriffen», kritisiert Annina Hess-Cabalzar von der Akademie Menschenmedizin in Zürich.
Einige Intensivstationen in Schweizer Spitälern kommen wegen nicht zwingenden oder gar unnötigen Eingriffen an ihre Kapazitätsgrenzen. Daniel Scheidegger, ehemaliger Vorsteher der operativen Intensivmedizin des Unispitals Basel, beschreibt die Situation so: «Wir haben nicht zu wenig Intensivbetten. Die Pandemie zeigte deutlich, dass die Intensivstationen in normalen Zeiten auch mit Patienten belegt sind, die gar nicht zwingend behandelt werden müssten.»
Krankheitskosten sind in Schweden viel tiefer
Tatsächlich werden viele Eingriffe auch in Pandemiezeiten nur aus finanziellen Überlegungen durchgeführt, wie saldo-Recherchen im letzten September zeigten (15/2021). Die Überversorgung ist belegt. So nahm etwa eine Forschergruppe des Unispitals Zürich die Herzkatheter-Operationen unter die Lupe: Bei mehr als der Hälfte von 52 701 Eingriffen im Jahr 2017 wurde kein krankhafter Befund festgestellt – viele dieser Operationen waren unnötig. Herz-Patienten verbringen nach der Operation zur Überwachung mindestens einen Tag auf der Intensivstation.
In Schweden erhalten Patienten eine erste medizinische Versorgung durch mobile Gesundheitsfachleute – zu Hause oder in einem regionalen Gesundheitszentrum. Schwere Fälle werden direkt zu Spezialisten weitergeleitet. Dies schlägt sich auch in den Krankheitskosten nieder. In Schweden liegen diese gemäss Zahlen der OECD bei nur 5100 Franken pro Kopf und Jahr, in der Schweiz bei 6600 Franken.