Seit Ende November ist der Impfstoff Td pur nicht mehr erhältlich. Er schützt gegen Wundstarrkrampf und Diphterie. Hersteller Glaxo-Smith-Kline nahm ihn weltweit vom Markt. Der Sprecher des englischen Konzerns begründet das mit der «gesunkenen Nachfrage». Man fokussiere sich auf Mehrfachimpfstoffe. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt als Ersatz die Mehrfachimpfstoffe Boostrix, ebenfalls von Glaxo-Smith-Kline, sowie Revaxis von Sanofi Pasteur. Bei beiden gab es früher auch schon Lieferprobleme. Und wer sich damit impfen lassen will, muss tiefer in die Tasche greifen als bisher: Boostrix kostet Fr. 36.25 pro Impfung, Revaxis Fr. 25.20, Td pur dagegen nur Fr. 9.85.
Im letzten Jahr fehlten zeitweise bis zu 16 Impfstoffe
Mark Witschi ist Leiter Sektion Impfempfehlungen und Bekämpfungsmassnahmen im Bundesamt für Gesundheit. Für ihn ist klar: «Die Häufigkeit und die Dauer der Engpässe von Impfstoffen nehmen zu.» Allein im vergangenen Jahr fehlten laut dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung zeitweise 16 Impfstoffe. Für die Engpässe sind die Hersteller verantwortlich, die ihre Präparate nicht liefern können oder vom Markt nehmen.
Problematisch ist vor allem, wenn Impfstoffe fehlen, für die es in der Schweiz keinen Ersatz gibt. Zum Beispiel lieferte Glaxo-Smith-Kline im Herbst 2018 sein Präparat Menveo wochenlang nicht aus. Der Impfstoff macht immun gegen Meningokokken-Bakterien. Diese können eine Hirnhautentzündung auslösen. Infolge des Lieferstopps konnten die Ärzte am Tropeninstitut in Basel kurzzeitig nicht impfen. Pech für Reisende, die eine Impfung nachweisen mussten, um ein Visum zu erhalten, und solche, die ein Risikogebiet besuchten.
Die Ärzte hätten leicht auf ein anderes Präparat ausweichen können: Nimenrix. Es kommt in Deutschland, Frankreich oder Österreich als Meningitis-Impfstoff zum Einsatz. Der Haken: Nimenrix ist nur für die EU zugelassen. Genau wie weitere rund 25 Ersatzimpfstoffe:
Die sechsfachen Säuglingsimpfstoffe Vaxelis oder Hexyon könnten das Präparat Infanrix Hexa ersetzen. Beide bieten einen Impfschutz etwa gegen Diphterie, Tetanus, Polio oder Hepatitis C. Vaxelis und Hexyon sind nur in der EU zugelassen.
In der Schweiz fehlen Einzelimpfstoffe gegen Kinderlähmung (Polio). Zugelassen ist einzig das Präparat Poliorix. Es ist laut Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung seit Anfang 2017 nicht mehr lieferbar. Als Ersatz tauglich sind die Impfstoffe IPV Merieux und Imovax Polio. Beide haben keine Marktzulassung der Heilmittelbehörde Swissmedic für die Schweiz. Impfärzte behelfen sich mit teureren Mehrfachimpfstoffen.
Swissmedic will keine Auskünfte geben
Die Hersteller Sanofi-Aventis und Pfizer beantworteten die Frage von saldo nicht, weshalb sie die alternativen Impfstoffe nicht auch in der Schweiz lancieren. Und das Heilmittelinstitut Swissmedic will nicht sagen, wie viele Gesuche es aus welchen Gründen abgelehnt hat. Swissmedic beruft sich auf das Amtsgeheimnis.
Für den Impfexperten Mark Witschi, ist klar: «Die Schweiz muss dringend mehr Impfstoffe zur Verfügung haben, um die Versorgung zu sichern.» Im Gegensatz zu Ländern wie Österreich, Holland oder Deutschland habe die Schweiz keine Verträge mit Liefergarantien mit Impfstoffherstellern. Der Bund soll die Zulassung für alternative Impfstoffe erleichtern: «Die Präparate sind weltweit sicher im Gebrauch – nur in der Schweiz sind sie nicht auf dem Markt.»
Die gesetzlichen Regeln erschweren den Herstellern die Belieferung der Schweiz, weil sie etwa Infos auf der Verpackung in drei Landessprachen aufdrucken müssen. Andreas Schiesser vom Krankenkassenverband Curafutura verlangt «pragmatischere» gesetzliche Regeln: Swissmedic sollte die Zulassungen der Europäischen Medizinagentur für Impfstoffe übernehmen – ohne eigene Prüfverfahren und hohe Zusatzkosten für die Hersteller. Oder der Bund müsste im Notfall wichtige Impfstoffe in Eigenregie herstellen lassen.
Auch viele Medikamente fehlen
In der Schweiz sind laut der Website Drugshortage.ch rund 580 verschiedene Medikamente nicht lieferbar – so viele wie noch nie. Betreiber der Website ist Enea Martinelli, Chefapotheker der Spitalgruppe Frutigen, Interlaken und Meiringen. Er spricht von einem «globalen Problem». Es gibt zwei Hauptursachen: Firmen ziehen ältere, wenig lukrative Produkte zurück. Und viele Hersteller haben in den vergangenen Jahren Produktionsstätten geschlossen, um Kosten zu sparen. Die Folge: Wenige Auftragsfirmen in China oder Indien stellen wichtige Wirkstoffe her. Geht dort etwas schief, drohen längere Produktionsausfälle. Und gleichzeitig sitzen viele Abnehmer auf dem Trockenen.