Der US-Psychiatrieprofessor Gerard Sanacora ist begeistert: Ketamin habe das Zeug zum «grössten Durchbruch der letzten 50 Jahre» in der Behandlung von Depressionen, jubelte er in einer TV-Sendung. Auch die Psychologin Simone Grimm von der Universität Zürich lobte den Stoff kürzlich an einem Kongress: «Wir haben keine andere Therapie, die so schnell und so anhaltend antidepressiv wirkt.» Bisher ist Ketamin nur als Narkosemittel zugelassen. Ärzte verschreiben es depressiven Patienten auf eigene Verantwortung.
Bei Fachleuten ist der Einsatz gegen Depressionen umstritten. Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber der Fachzeitschrift «Arznei-Telegramm», sagt: «Von einem Durchbruch sind wir weit entfernt.» Es sei zu wenig bekannt über Nutzen und Risiken. Schlechte Erfahrungen mit dem Missbrauch von Ketamin als Rauschmittel erschweren laut Becker-Brüser den Einsatz gegen Depressionen.
Wirkt zwar rasch, macht aber auch schnell süchtig
In hohen Dosen euphorisiert Ketamin, und es verändert die Wahrnehmung der Umwelt. Eine Umfrage der Arud-Zentren für Suchtmedizin in der Schweizer Partyszene zeigte 2012, dass ein Drittel der Befragten Ketamin als Rauschmittel verwendet hat. Das Mittel gilt als gefährlich, denn es kann auch Angst und Panik auslösen.
Schlagzeilen machte Anfang April der Prozess gegen einen Kunsthändler-Sohn aus Küsnacht ZH. Nach dem Konsum von Kokain und Ketamin hatte er einen Freund brutal umgebracht. Vor Gericht sagte er, im Drogenrausch habe er seinen Freund als bedrohliche ausserirdische Figur mit grünem Gesicht und roten Augen wahrgenommen.
Der deutsche Depressionsforscher Peter Ansari lehnt den Einsatz von Ketamin gegen Depressionen ab: «Ich hoffe, dass die Behörden Ketamin nie zulassen.» Es sei unklar, wie viel Ketamin ein Mensch verträgt, bevor er in einen seelischen Ausnahmezustand gerät. Das Mittel könne «urplötzlich» die Persönlichkeit verändern. Das zeige der Küsnachter Fall. Depressionen dauerten oft monatelang, so Ansari. Ein Mittel, das schnell wirkt und süchtig machen kann, helfe den Betroffenen nicht.
Dazu kommt: Das Mittel wirkt nur ein bis zwei Wochen. Danach wären weitere Spritzen notwendig. Doch der Basler Arzt Urspeter Masche warnt, bisher sei unbekannt, wie gut Ketamin langfristig wirkt und ob es den Patienten schade. Zudem vermisst Masche Studien, die Ketamin mit klassischen Antidepressiva vergleichen. Wegen des kaum erforschten Risikos sollten Ärzte Ketamin laut dem Psychiater Peter Bäurle aus Fruthwilen TG nur sehr schwer depressiven Patienten verschreiben. Bei ihnen müsse man alle verfügbaren Mittel einsetzen, um Suizide zu verhindern. Patienten mit mittelschweren Depressionen könne man, so Bäurle, mit Psychotherapie und pflanzlichen Mitteln gut behandeln.
Eine Psychotherapie hilft Betroffenen, zu erkennen, wie sie seelische Belastungen vermeiden und ihr Leben verändern können. Zwar kostet sie mehr als Medikamente, aber ihre positive Wirkung hält länger an.
Bei leichten und mittleren Depressionen helfen Präparate mit Johanniskraut. Das haben Studien gezeigt. Sie beruhigen und hellen die Stimmung auf. Bei einem Labortest schnitten die Johanniskraut-Präparate Jarsin und Rebalance am besten ab («Gesundheitstipp» 11/2015). Der Nutzen der chemischen Antidepressiva ist beschränkt. 2008 zeigte eine Übersichtsstudie des englischen Psychologen Irving Kirsch mit über 5000 Patienten, dass Antidepressiva kaum besser als Scheinmedikamente wirken. Viele Patienten sprechen nicht darauf an. Manche leiden unter Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Schlaflosigkeit, innerer Unruhe oder gar verstärkten Suizidgedanken.