Plötzlich bricht die Beschuldigte in der Verhandlung am Bezirksgericht Zürich in Tränen aus. «Ich würde meinen Hund nie in eine qualvolle Situation bringen», beteuert die Soziologin. Die 62-Jährige ist nebenberuflich als Hundetrainerin tätig und bildet sich als Hundehalterin regelmässig weiter.
An einem heissen Tag im August 2019 hatte sie mit ihrem Schäferhund Bolt an einem Seminar teilgenommen. Nach dem Ende der Weiterbildung gab sie ihm etwas zu essen und zu trinken, liess ihn im Auto zurück und ging zwecks Nachbesprechung zu ihrem Trainer.
Als sie danach zum Fahrzeug zurückkehrte, bot sich ihr ein unerwartetes Bild: Bolt stand mit einem Polizisten vor dem Auto. Dieser hatte den Hund nach dem Anruf einer Passantin aus dem Fahrzeug «befreit».
Das Statthalteramt des Bezirks Zürich büsste die Hundehalterin mit 350 Franken. Begründung: Die Frau habe ihren Hund «aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit in ihrem überhitzten Fahrzeug ohne Trinkmöglichkeiten» zurückgelassen und ihn so «unnötigem Leid ausgesetzt».
Das Veterinäramt vermutete ein vorsätzliches Handeln
Die Beschuldigte akzeptierte den Strafbefehl. Das Veterinäramt Zürich jedoch wollte sich damit nicht zufriedengeben. Das Amt ging nicht von fahrlässigem, sondern von vorsätzlichem Handeln der Beschuldigten aus und erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. Deshalb kommt es zu einem Gerichtsverfahren.
Die Soziologin lässt sich von einer Anwältin verteidigen. Ihre Mandantin sei eine Hundeliebhaberin, sagt diese: «Sie akzeptiert nicht, dass ihr Vorsatz unterstellt wird.» Und sie erläutert den Unterschied zwischen fahrlässigem und eventualvorsätzlichem Handeln: «Wer fahrlässig handelt, geht davon aus, dass nichts passieren wird. Wer eventualvorsätzlich handelt, will zwar nicht, dass etwas passiert, aber wenn etwas passiert, ist es egal.» Das sei bei ihrer Mandantin nicht der Fall gewesen.
Bei der Frage «Fahrlässigkeit oder Eventualvorsatz?» kommt es auf die konkreten Umstände an. Und die waren im «Fall Bolt» speziell, wenn man den Ausführungen der Hundehalterin glaubt: Wenige Tage bevor sie ihren Hund im Auto zurückgelassen habe, habe sie eine Gehirnerschütterung erlitten. Als sie in der Nähe eines Schulhauses vorbeispazierte, hätten spielende Schüler sie aus Versehen mit einem Gummiball hart an der Schläfe getroffen. «Mein Zeitgefühl war deshalb eingeschränkt», sagt die Beschuldigte. Das habe dazu geführt, dass die Nachbesprechung mit dem Hundetrainer länger dauerte, als von ihr ursprünglich beabsichtigt.
Hundehalterin weiss nicht mehr, wie lange der Hund im Auto war
Im Strafbefehl hiess es, dass der Hund rund eineinhalb Stunden allein im Auto zurückgeblieben sei. Vor Gericht kann die Hundehalterin die Frage nach der Dauer ihres Wegbleibens nicht genau beantworten. Als sie ihren Hund auf die Rückbank gesetzt habe, sei der Wagen ausserdem im Schatten parkiert gewesen. Im Polizeirapport heisst es jedoch, dass der Beamte das Fahrzeug in der prallen Sonne angetroffen habe.
Das Gericht glaubt der Soziologin, dass sie das Leid ihres Hundes nicht in Kauf genommen habe. Und auch die Gehirnerschütterung könne bei der Beurteilung «nicht ganz ausgeblendet» werden. Der Richter stellt aber klar, dass man auch zu einem anderen Schluss kommen und «an das Handeln einer Hundeversteherin strengere Massstäbe anlegen» könne.
Das Gericht erhöht die Busse auf 500 Franken, weil es sich um einen Grenzfall handle. Die Gerichtsgebühr beträgt 750 Franken.
Strafprozess: Hohe Gerichtskosten
In einem Strafprozess entscheidet das Gericht nicht nur über schuldig oder nicht schuldig, sondern auch über die Auferlegung der Verfahrenskosten. Dazu gehören sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Strafuntersuchung bei der Staatsanwaltschaft und dem Gericht entstanden sind. Der Grundsatz ist klar: Wird das Verfahren eingestellt oder werden die Beschuldigten freigesprochen, entstehen diesen keine Kosten. Bei einem Schuldspruch muss die verurteilte Person aber meist die ganzen Verfahrenskosten tragen. Diese können auch in einfachen Fällen mehrere Tausend Franken betragen.