Eine 93-jährige Frau aus dem Baselbiet ist an Demenz erkrankt. Sie wohnt zu Hause und ist seit rund einem Jahr auf ständige Betreuung angewiesen. Die Grundversicherung der Krankenkasse vergütet ärztlich verordnete Spitex-Leistungen. Die Kosten für die sonstige Betreuung sowie die Haushaltshilfe muss die Betagte selbst tragen. Dies, obwohl sie vor rund 15 Jahren bei der Visana eine Pflegetaggeldversicherung abgeschlossen hatte. Seither zahlte sie jedes Jahr eine Prämie von 1233 Franken. Versichert ist ein Taggeld von 70 Franken bei Pflegebedürftigkeit.
Visana verweigerte die Taggelder, weil die Frau noch zu Hause wohnt. In den Versicherungsbedingungen heisst es: «Das versicherte Pflegetaggeld wird nach Ablauf der Wartefrist von 730 Tagen ausgerichtet. Die Wartefrist läuft ab Beginn des stationären Aufenthalts in einer anerkannten Institution oder Abteilung für Chronischkranke und Pflegebedürftige.» Die Versicherung muss also nichts zahlen, solange jemand zu Hause lebt. Und im Pflegeheim erst nach zwei Jahren Aufenthalt.
Beistand der Frau ist ihr Sohn, Mark Pieth. Er kümmert sich um ihre finanziellen Angelegenheiten. Für ihn besonders stossend: Seine Mutter hatte bei der Visana bis ins Jahr 2005 die Zusatzversicherung «Langzeitpflege stationär» abgeschlossen. Diese hätte die Taggelder ohne Wartefrist für die Betreuung zu Hause erbracht. Dann verdoppelte die Versicherung die Prämien auf über 5000 Franken pro Jahr. Zugleich bot sie seiner Mutter die heutige Pflegeversicherung als günstigere Alternative an. Die Mutter wechselte zur günstigeren Variante.
Mark Pieth, von Beruf Strafrechtsprofessor, ist über das Vorgehen der Visana empört und brachte das in einem Schreiben an den Verwaltungsratspräsidenten der Visana und BDP-Nationalrat Lorenz Hess zum Ausdruck: «Sie lassen Ihre Kunden Tausende von Franken Prämien bezahlen – um dann auf ihren baldigen Tod in der Anstalt zu spekulieren.» Damit spielt Pieth auf die zweijährige Wartefrist im Vertrag an. Eine Antwort von Hess erhielt Pieth auf sein Schreiben nicht.
Im Durchschnitt ist mehr als die Hälfte der Prämien verloren
Tatsächlich erbringt eine solche Pflegeversicherung in der Regel nur wenige Leistungen. Das zeigt eine Berechnung von saldo. Laut Bundesamt für Statistik beträgt die Aufenthaltsdauer in Alters- und Pflegeheimen im Durchschnitt 881 Tage. Zieht man die Wartefrist von 730 Tagen ab, bleiben noch 151 Tage.
Bei einem Taggeld von 70 Franken ergibt das eine Versicherungsleistung von 10 570 Franken. Das entspricht bei Frauen weniger als der Hälfte der einbezahlten Prämien, wenn sie die Versicherung mit 65 Jahren abschliessen: Laut Bundesamt für Statistik waren Frauen im Jahr 2019 beim Eintritt in ein Alters- oder Pflegeheim durchschnittlich 83 Jahre alt. Sie hatten bis zu diesem Zeitpunkt also 18 Jahre lang Prämien bezahlt. Diese sind zudem während der Wartefrist von 730 Tagen weiter geschuldet. Bis die Versicherung Leistungen erbringt, bezahlen versicherte Frauen also im Durchschnitt 20 Jahre lang 1233 Franken, total 24 700 Franken. Bei Männern sieht die Rechnung ähnlich aus.
Fazit: Für die meisten Versicherten lohnt sich eine solche Pflegeversicherung nicht. Das bestätigt auch Stefan Thurnherr, Versicherungsexperte beim VZ Vermögenszentrum. Visana-Sprecher David Müller bestätigt, dass die Pflegekosten von Mark Pieths Mutter mit dem Zusatz «Langzeitpflege stationär» gedeckt gewesen wären. Zum Vorwurf, dass sich Pflegeversicherungen in der Regel wegen der langen Wartefrist nicht lohnen, nahm Visana keine Stellung.
Weitere Pflegeversicherungen und ihre Leistungen
Helsana bietet die Pflegeversicherung «Cura» an. Sie zahlt 10 bis 300 Franken Tagespauschale. Kunden können eine Wartefrist von 180, 360, 720 oder 1080 Tagen wählen. Auch Pflegekosten zu Hause sind gedeckt. Versicherte müssen sie belegen. Wer von Angehörigen gratis unterstützt wird, erhält nichts. Die Prämie hängt vom Wohnort und Geschlecht ab und steigt mit dem Alter.
Swisslife zahlt bei der Versicherung «Protect Care» eine lebenslange Rente, wenn Versicherte auf Pflege angewiesen sind. Der Betrag ist vom Mass der Pflegebedürftigkeit abhängig. Swiss Life beurteilt sie anhand von sechs Alltagsverrichtungen. Die Wartefrist beträgt 180 Tage. Die Prämie hängt vom Eintrittsalter und Geschlecht ab und bleibt konstant.
Die Höhe der Leistungen, welche die Versicherungen im Pflegefall erbringen, lässt sich nicht genau berechnen. Das hängt bei Helsana von den anfallenden Kosten ab und bei Swisslife vom Grad der Pflegebedürftigkeit.