Schon jetzt ist klar: Auch im nächsten Jahr müssen Grundversicherte wieder mehr an die Krankenkassen zahlen. In den letzten zehn Jahren stiegen die Prämien um durchschnittlich fast 900 Franken pro Person. Spitalbetreiber, Ärzte und Pharmafirmen stellen diese Entwicklung als unausweichlich dar: Mehr Leute würden länger leben und bräuchten immer mehr medizinische Leistungen.
Die vom «K-Tipp» seit 2007 jedes Jahr durchgeführte repräsentative Befragung der Schweizer zur Krankenkasse zeigt aber, dass die Zahl der Patienten, die ärztliche Hilfe benötigt, konstant ist.
Auch Guido Klaus vom Krankenversicherer Helsana hält fest: Die Gesundheitskosten würden vor allem steigen, weil laufend neue und teure Therapien auf den Markt kommen und Ärzte und Spitäler mehr Abklärungen oder Behandlungen pro Patient abrechnen. Das belege der Helsana-Report «Ausgabenentwicklung in der Gesundheitsversorgung» vom vergangenen Dezember. Der Bericht basiert auf den Daten der 1,2 Millionen Helsana-Versicherten.
Laut diesem Report bezogen Versicherte, denen die Grundversicherung mindestens eine Rechnung erstattete, im Jahr 2008 Leistungen für durchschnittlich 3744 Franken. 2015 betrugen diese Pro-Kopf-Leistungen 4585 Franken. Die Krankenkassen gaben in der Grundversicherung 2016 total 31,5 Milliarden Franken aus – fast 11 Milliarden mehr als 2006. Das zeigt die Statistik des Bundesamts für Gesundheit.
Vier Bereiche verursachen immer mehr Kosten
Laut Statistik gibt es vier grosse Kostentreiber. Sie sind für 80 Prozent des Kostenschubs in den vergangenen zehn Jahren verantwortlich (siehe Grafik im PDF):
Ambulante Behandlungen im Spital. Die Kosten haben sich hier laut Bundesamt für Gesundheit von 2006 bis 2016 mehr als verdoppelt – von 2,65 Milliarden auf 5,5 Milliarden Franken. Der Zuwachs macht mehr als einen Viertel des Kostenwachstums in der Grundversicherung aus.
Kantone wie Luzern oder Zürich forcieren ambulante Behandlungen im Spital – als Ersatz für teure stationäre Aufenthalte. Denn das spart Geld. Eine ambulante Meniskusoperation kostet im Durchschnitt 2500 Franken, eine stationäre über 6000 Franken. Das Problem: Die Spitäler unterlaufen die Sparbemühungen. Sie gewinnen seit Jahren neue ambulante Patienten hinzu, ohne die Zahl stationärer Fälle entsprechend zu reduzieren.
Behandlungen in der Arztpraxis: Ärzte mit eigener Praxis kassierten im letzten Jahr 7,3 Milliarden Franken aus der Grundversicherung – das sind 2,6 Milliarden mehr als im Jahr 2006.
24,3 Prozent des Kostenanstiegs gehen damit auf ihr Konto.
Ein Kostentreiber sind sogenannte «ärztliche Leistungen in Abwesenheit des Patienten». Dazu zählt etwa das Studium der Patientenakte. Spezialärzte stellten solche Leistungen laut Helsana-Report im Jahr 2015 48 Prozent öfter in Rechnung als 2012. Bei Hausärzten betrug der Zuwachs nur 27 Prozent, bei ambulanten Spitalbehandlungen aber 70 Prozent. Das ergibt Mehrkosten von 200 Millionen Franken.
Ambulant arbeitende Ärzte führen zwar etwa gleich viele Behandlungen und Abklärungen durch wie früher. Aber die Kosten pro Konsultation sind von 2009 bis 2015 um einen Viertel gestiegen. Spezialärzte rechnen laut Helsana-Report pro Patient doppelt so viel ab wie Hausärzte – vor allem dank lukrativer Leistungen wie MRI-Scans.
Spitalaufenthalte: Laut dem Bundesamt kassierten die Spitäler für stationäre Leistungen im letzten Jahr 6,8 Milliarden Franken – fast 2 Milliarden mehr als im Jahr 2006. Die Mehrkosten machten 17,7 Prozent des gesamten Kostenanstiegs aus.
Bundesrat Pascal Couchepin führte im Jahr 2012 Fallpauschalen für stationäre Leistungen ein, um diesen Anstieg zu dämpfen. Spitäler erhalten seither pro Fall Fixbeträge – für eine Blinddarm- OP etwa gut 6000 Franken. Das Resultat dieser Politik: 2015 betreuten die Spitäler laut Helsana-Report etwa 88 000 mehr stationäre Fälle als 2012 – insgesamt 1,2 Millionen Fälle. Fast ein Viertel der Eingriffe galten Knie oder Hüfte. Sie sind finanziell besonders attraktiv.
Medikamente. Apotheken und Ärzte verkauften im letzten Jahr Heilmittel für 5,6 Milliarden Franken. Der Kostenanstieg im Vergleich zum Jahr 2006 betrug 1,3 Milliarden. Damit sind Medikamente für 12,5 Prozent des Kostenwachstums verantwortlich.
Hersteller ersetzen oft alte durch sehr teure neue Medikamente, die nur wenigen Patienten zugute kommen. Ein Beispiel: Die Helsana bezahlte im Jahr 2016 nur 1819 Versicherten die Therapie mit dem neuen Hepatitis- C-Mittel Harvoni. Dennoch kostete das die Kasse 120 Millionen Franken. Denn der Preis für eine Behandlung betrug satte 66 000 Franken.
«Unerwünschte Mengenausweitung»
Wie aber lässt sich der Prämienanstieg stoppen? Pascal Strupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit, forderte jüngst in der Zeitschrift «Volkswirtschaft», dass die Schweiz die «unerwünschte Mengenausweitung» der ärztlichen Leistungen eindämmen müsse. Laut Strupler gibt es aber für Massnahmen zur Kostenreduktion «keinen politischen Konsens». Der Grund dafür: Im Parlament haben die Prämienzahler keine so grosse Lobby wie Spitäler, Pharma-Hersteller, Spezialärzte und Krankenkassen.