Der Aare-Weg bei Wildegg AG ist bei Joggern, Spaziergängern und Hundehaltern beliebt. Direkt daneben steht auch eine der sechs Schweizer Zementfabriken. Der 125 Meter hohe Kamin ist gut sichtbar. Was Spaziergänger und Jogger nicht sehen: Im Boden hat es zu viele Schadstoffe. Das zeigt eine saldoStichprobe von Anfang April. Die Bodenproben entlang des Uferwegs ergaben 5,1 Nanogramm schädliche Dioxine pro Kilo Erde.
Zudem steckten in einem Kilo Wildegger Boden 5370 Mikrogramm polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, sogenannte PAK. Das klingt nach wenig. Doch bei mehr als 5 Nanogramm Dioxin oder 1000 Mikrogramm PAK ist der Boden vergiftet und dessen Fruchtbarkeit beeinträchtigt. So steht es in der Verordnung des Bundes über die Belastung des Bodens. Das Gift entsteht bei der Abfallverbrennung. Zementfabriken benutzen Abfall, um ihre Öfen zu heizen.
Die sechs Schweizer Werke verbrannten 2022 laut dem Verband der Schweizerischen Zementindustrie 360'000 Tonnen Abfall. saldo nahm je eine Probe rund um die sechs Zementwerke und eine bei der Kalkfabrik in Netstal GL. An all diesen Orten halten sich Menschen auf, oder die Böden werden landwirtschaftlich genutzt. Ein Labor untersuchte Erde aus bis zu 20 Zentimeter Tiefe.
Resultat: Neben Wildegg fand es an zwei weiteren Stellen erhöhte PAK-Werte: Auf einem Rapsfeld im Waadtländer Ort Eclépens hatte es 1520 Mikrogramm pro Kilogramm Boden. Und in einem Kilo Erde aus dem Bernischen Péry-La Heutte waren es 2060 Mikrogramm. PAK und Dioxine sind krebserregend. Sie gelangen meist beim Essen in den Körper. Möglich ist auch eine Aufnahme über die Haut oder die Atemwege. Holcim, die Betreiberin des Werks in Eclépens, schliesst aus, dass die PAK-Belastung im Rapsfeld aus der Zementfabrik stammt.
Denn die Anlage verfüge über sehr hohe Betriebstemperaturen sowie Filter- und Gasaufbereitungsanlagen. PAK entstehen vor allem bei der Verbrennung bei zu tiefen Temperaturen. Und Wildegg-Betreiber Jura Cement schreibt, dass die Grenzwerte für den Dioxinausstoss bei Emissionsmessungen um das Zehnfache unterschritten wurden.
Kantone sehen «keine Gefahr für Menschen»
Zuständig für die Einhaltung der Bodengrenzwerte sind die Kantone. Aargau, Bern und Waadt verweisen darauf, dass bei den gemessenen Werten keine Gefahr für Menschen bestehe. Zudem könnten PAK aus den unterschiedlichsten Quellen stammen: «Leichte Überschreitungen des PAKGrenzwerts hängen oft mit dem Strassenverkehr zusammen», schreibt der Kanton Waadt. Und der Kanton Aargau erklärt, dass es für eine offizielle Überprüfung von Grenzwerten mindestens 16 Einstichstellen benötige. Eine einzelne Probe genüge nicht.
Der grösste Teil des Abfalls geht durch die Öfen von Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA). Die 29 Anlagen verbrannten 2022 etwa die zehnfache Menge der Zementfabriken. Die Böden rund um die KVA sind oft stärker mit giftigen Stoffen belastet als die Böden bei Zementfabriken.
Berner Behörden handeln nach saldo-Artikel
Das zeigt der Blick auf eine Stichprobe von saldo vom letzten Oktober. So steckten in der Erde in der Nähe der Stadtberner Verbrennungsanlage Bern-Forsthaus 21 Nanogramm Dioxin pro Kilo Boden (saldo 17/2023). Ab 20 Nanogramm pro Kilo müssen die Kantone prüfen, ob ein Gesundheitsrisiko besteht. Berns Behörden sahen keinen Grund, etwas zu unternehmen.
Nun stellte das Berner Amt für Wasser und Abfall aber selbst zu hohe Giftwerte fest. Messungen auf der Wiese des Schulhauses Steigerhubel in Bern ergaben 30 Nanogramm Dioxin und 17 Milligramm PAK pro Kilo. saldo hatte seine Probe etwa 500 Meter Luftlinie entfernt vom Schulhaus genommen. Die Stadt Bern verspricht, die Schadstoffe in diesem Sommer zu beseitigen.