Der Sohn von Andrea Bauer (Name geändert) aus Horgen ZH hat starke Allergien. Schon im Alter von sechs Jahren wurde ihm das Medikament Singulair verschrieben. Es ist zugelassen gegen Heuschnupfen und Asthma. Nachdem der Bub mit der Einnahme des Medikaments begonnen hatte, wurde er von Woche zu Woche aggressiver, schlug um sich. «Es war uns ein Rätsel, warum unser Kind plötzlich so reizbar und wütend war», erinnert sich Andrea Bauer. Erst nachdem sie den Beipackzettel gelesen hatte, wurde ihr einiges klar: Darin stand, dass Singulair aggressiv machen könne. Die Mutter setzte das Medikament sofort wieder ab. Bald verhielt sich ihr Sohn wieder wie vorher.
Singulair und auch das Medikament Lukair enthalten den Wirkstoff Montelukast. Bei der Heilmittelbehörde Swissmedic trafen in den vergangenen zehn Jahren 39 Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten mit diesem Wirkstoff ein. Eine chinesische Studie aus dem letzten Jahr bestätigt: Montelukast erhöht das Risiko für Depressionen und Suizid. Forscher der Akademie der Medizinwissenschaften in Peking hatten rund 10 000 Meldungen über Nebenwirkungen von Heuschnupfenmedikamenten analysiert.
Auch in den USA ist das Medikament Singulair umstritten. Vor zwei Jahren versah die staatliche Arzneimittelbehörde den Beipackzettel von Singulair und seinen Nachahmerpräparaten mit der höchsten Warnstufe. Sie warnt vor «ernsthaften neuropsychiatrischen Nebenwirkungen» und schreibt, bei Heuschnupfen seien die Risiken des Medikaments möglicherweise höher als der Nutzen.
Immer weniger Ärzte setzen den Wirkstoff Montelukast ein
In der Schweiz gehen laut Branchenverband Interpharma jedes Jahr rund 60 000 Packungen von Medikamenten mit dem Wirkstoff Montelukast über den Ladentisch. Doch immer weniger Ärzte verschreiben solche Mittel. Der Luzerner Allergiespezialist Gerhard Müllner sagt: «Ich setze Montelukast weder bei Erwachsenen noch bei Kindern ein.» Der Wirkstoff nütze zudem nicht genügend. Die US-Fachzeitschrift «Medical Letter» empfiehlt das Mittel nur, wenn andere Medikamente versagen.
Fachleute raten, die Beschwerden zuerst lokal zu behandeln. Bei triefender Nase können Sprays wie Allergodil saisonal oder Livostin helfen. Sie enthalten Wirkstoffe der Gruppe der Antihistaminika. Diese bremsen die allergische Reaktion in der Nase. Der Zürcher Hausarzt Thomas Walser sagt: «Bei Juckreiz oder triefender Nase genügt ein solcher Spray meist.»
Gegen verstopfte Nasen helfen Kortisonsprays. Dazu gehören Mittel wie Otri Heuschnupfen Microdos oder Mometason Mepha (siehe Tabelle im PDF). Kortison bekämpft die Entzündung in der Nase. Nur wenn Nasensprays nicht helfen, sollten Patienten zu Tabletten mit Antihistaminika greifen, rät Walser. Denn sie können müde machen oder zu Schwindel führen. Dazu gehören Mittel wie Telfast oder Claritine-Pollen.
Apotheken verkaufen auch Nasensprays, die eine abschwellende Wirkung haben. Dazu gehören zum Beispiel Nasivin Dosierspray oder Otrivin Schnupfen. Thomas Walser rät von solchen Produkten ab. Sie können die Schleimhaut beschädigen und abhängig machen, wenn man sie zu lange benutzt.
Auch das Jucken in den Augen sollte man zuerst lokal behandeln statt mit Tabletten. Walser rät auch hier zu Antihistamin-Präparaten. Dazu gehören Augentropfen wie Emadine, Zaditen Ophtha oder Livostin.
Hersteller Organon räumt ein, dass bei Patienten, die Singulair und Lukair eingenommen hätten, «neuropsychiatrische Ereignisse» wie suizidales Verhalten, Depressionen und Aggressivität beobachtet worden seien. Es sei aber nicht bekannt, ob ein kausaler Zusammenhang mit den Medikamenten bestehe.
Sanofi schreibt saldo, Müdigkeit und Schwindel kämen bei Telfast-Tabletten nicht öfter vor als bei Einnahme eines Scheinmedikaments. Galenica erklärt, man dürfe Nasivin und Triofan Schnupfenspray nicht länger als eine Woche anwenden. Es sei «unwahrscheinlich», dass man bei dieser Medikation abhängig werde. Mepha weist darauf hin, dass Nebenwirkungen des Kortisonsprays Mometason Mepha davon abhängen, wie lange und intensiv man den Spray benutze.