Fritz H. aus Mellingen AG erhält von seinem Pflegeheim jeden Monat eine gesalzene Rechnung. Für den Monat September lautete sie auf Fr. 10 541.20. Die Vollpension kostet ihn Fr. 3641.20, für allgemeine Betreuung zahlt er 1710 Franken. Diese umfasst unter anderem Hilfe bei Einkäufen oder Aufräumarbeiten. Die beiden Beträge gehen voll zulasten des 84-jährigen Bewohners. Zudem muss er sich mit 648 Franken an den Kosten der medizinischen Pflege beteiligen. Das ergibt für Fritz H. ein Total von Fr. 5999.20. Die restlichen Pflegekosten von 4542 Franken übernehmen Krankenkasse und die öffentliche Hand.
Grundsätzlich gilt in allen Schweizer Pflegeheimen: Die Bewohner zahlen für Pension und Betreuung. Die Finanzierung der Pflegekosten wird aufgeteilt: Die Krankenkassen zahlen pro Tag maximal 108 Franken an die Pflege und die Versicherten höchstens Fr. 21.60. Reichen diese Beiträge nicht zur Finanzierung der Pflege, müssen die Kantone und Gemeinden die restlichen Kosten übernehmen.
So schreibt es das Gesetz seit dem Jahr 2011 vor. Die damalige Neuerung hatte zum Ziel, Langzeitpatienten finanziell zu entlasten. Dieses Ziel ist auch heute noch nicht überall erreicht. Preisüberwacher Stefan Meierhans kritisiert: «Heimbewohnern werden teilweise immer noch missbräuchliche Preise verrechnet.» Immer wieder interveniert er bei Pflegeheimen, die von den Bewohnern zu hohe Preise verlangen. So konnte er kürzlich bei den Alterszentren Bärenmatt in Bremgarten AG und Burkertsmatt in Widen AG Preissenkungen durchsetzen. Mit den betroffenen Heimen vereinbarte er, dass die Aufenthaltstaxe (Pension/Betreuung) für das Jahr 2014 rückwirkend um 10 Franken pro Tag gesenkt wird. Zudem erreichte er, dass die entsprechenden Taxen für 2016 und 2017 um 5 Franken pro Tag reduziert werden.
Heime überwälzen angeblich ungedeckte Kosten auf Bewohner
Viele Alterszentren gerieten durch das neue Gesetz in die Zwickmühle. Die Mehrheit der Kantone und Gemeinden übernimmt die Restkosten der Pflege nämlich aus Spargründen nur bis zu einem bestimmten Betrag. Deshalb überwälzen die Heime aus ihrer Sicht ungedeckte Pflegekosten einfach auf die Bewohner. Der Trick: Sie erhöhen die Preise für Betreuung und Pension, die von den Bewohnern bezahlt werden müssen. Erleichtert wird dieses Vorgehen dadurch, dass das Gesetz die Pflege zu wenig klar von der Betreuung und Pension abgrenzt.
Curaviva Schweiz, der Dachverband der Altersheime, weiss natürlich, dass die Verrechnung von Pflegekosten zulasten der Patienten über das gesetzliche Maximum hinaus nicht statthaft ist. Sprecher Yann Golay kritisiert aber die Kantone und Gemeinden, die Deckungslücken zulasten der Heime entstehen ließen. Laut der letztjährigen Umfrage von Curaviva bei ihren Mitgliedern ist in mindestens zwölf Kantonen die Finanzierung der restlichen Pflegekosten durch die öffentliche Hand nicht vollständig sichergestellt.
Eine Untersuchung des Bundesamts für Statistik vom letzten Jahr kommt zum Schluss, dass Kantone und Gemeinden im Jahr 2013 eine Deckungslücke von 321 Millionen Franken bei der Finanzierung der Pflegekosten verursachten. Die Studie zeigt, dass bei einem Grossteil der Heime, die über ungedeckte Pflegekosten klagen, die Pensionstaxen auffällig hoch sind. Das Bundesamt folgert vorsichtig: «Das legt nahe, dass die Pensionstaxen zur teilweisen Deckung der Pflegekosten in Betracht gezogen werden könnten.»
«Das System ist anfällig für Missbräuche»
Für Preisüberwacher Stefan Meierhans braucht die Pflegefinanzierung «dringend eine Kur». Das System sei anfällig für Missbräuche. In der Pflicht sieht er vor allem das Bundesamt für Gesundheit, das den Kantonen Beine machen sollte, die Restfinanzierung gesetzeskonform umzusetzen.
Das Bundesamt verweist auf Gesetz und Verordnung, die bereits heute klar festlegen, dass die Kantone die Restfinanzierung zu gewährleisten haben und den Heimbewohnern keine zusätzlichen Pflegekosten aufbürden dürfen. Das Bundesamt erkennt immerhin «Umsetzungsprobleme». Es räumt ein, dass in der Praxis die Abgrenzung der Kosten für Pflege und Betreuung unterschiedlich gehandhabt werde.
Zurzeit führt das Bundesamt eine Untersuchung zur Neuordnung der Pflegefinanzierung durch. Laut Sprecher Daniel Dauwalder nimmt man dabei auch die kantonalen Regelungen zur Restfinanzierung unter die Lupe. Ergebnisse sollen Ende 2017 vorliegen. Das unwürdige Schwarz-Peter-Spiel auf dem Rücken pflegebedürftigerSenioren wird also noch einige Zeit andauern.