Das tönt nach Schauerroman: «Todeskreuze bei vielen Indizes» lautet der Titel eines kurzen Artikels in der NZZ am 21. September. Gemeint sind Trendkurven der Finanzmärkte, die sich unheilvoll überschneiden und Turbulenzen ankündigen. Drei Tage zuvor entschied die US-Notenbank Fed, den Leitzins bei der Nullgrenze zu belassen. Seither sind die Zeitungsspalten wieder voll mit Analysen und Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung – alles wie immer ohne Gewähr.
Die Sprache der Börsen ist Insiderjargon: «Erstmals seit Herbst 2012 wieder mehr Bären als Bullen bei den US-Anlageberatern», heisst es auf der gleichen NZZ-Seite. Damit ist kein zoologischer Exkurs gemeint. Auf Deutsch heisst das, wie im Artikel weiter unten ausgeführt wird: Die Anlageberater tendieren nun mehrheitlich auf sinkende Kurse. Trotzdem habe der «Anteil der Pessimisten» nicht zugenommen. Das geht eigentlich nicht auf. Zum Trost heisst es dann: «Viele Anlageberater sind ins neutrale Lager gewechselt und beobachten vorerst die Situation.»
Nullentscheide haben für die Journalisten den Nachteil, dass es nichts zu schreiben gibt. Dennoch füllen sie die Seiten: «Die makroökomische Anleitung, wie postindustrielle Volkswirtschaften aus einer Depression zu führen sind, wurde mangels Erfahrungen noch nicht geschrieben», schreibt die «Handelszeitung». Das Blatt konstatiert weiter: «Zwar wächst die Wirtschaft, zwar schreitet die Technik voran. Trotzdem bleibt das Produktivitätswachstum flau.» Mit anderen Worten: Auch beim Fachblatt herrscht Ratlosigkeit.
«Die Spannung bleibt erhalten»
Das Gleiche gilt bei der Konkurrenz «Finanz und Wirtschaft». Sie schreibt zum Null-Entscheid der US-Notenbank: «Damit ist unklar, wie es mit der Geldpolitik weitergeht. Offiziell geht der Fed-Vorsitz nach wie vor davon aus, dass er noch dieses Jahr die Zinsen erhöhen wird. Allerdings ist er weniger überzeugt von einem solchen Schritt als vor drei Monaten.» Es kommt also zu einer Leitzinserhöhung – oder doch nicht?
Die «Aargauer Zeitung» konstatiert: «Analysten sagten umgehend, dass eine Zinserhöhung in weite Ferne gerückt sei.» Doch heisst es im nächsten Satz: «Die Fed-Mitglieder gehen immer noch davon aus, dass die Zinserhöhung in diesem Jahr über die Bühne gehen wird.» Ja, was nun?
Unsicherheit, wohin man blickt – wäre da nicht das Kompetenzblatt «20 Minuten». Die Zeitung stellt rhetorisch die drängendsten Fragen und liefert die Antworten: «Wie werden die Finanzmärkte reagieren? Ohne Zinserhöhung ändern sich die Vorzeichen nicht wesentlich. Die Spannung bleibt erhalten, und die Anleger fiebern dem nächstmöglichen Termin einer Zinserhöhung im Dezember entgegen.» Fazit des Experten der Liechtensteiner VP Bank in «20 Minuten»: «In der Folge können die Investoren wieder Mut fassen, und das wäre für die gesamte Wirtschaft gut.» Sofern die Zinserhöhung dann tatsächlich kommt.
«Todeskreuze» zu früh an die Wand gemalt
Möglicherweise ist die Frage, ob der Leitzins steigt oder nicht, ziemlich unerheblich. Die «Handelszeitung» resümiert in einem ausführlichen Artikel die Zinspolitik der Nationalbanken und kommt zum Schluss: «Bis eine Zinserhöhung auf die Konjunktur durchschlägt, dauert es normalerweise ein bis zwei Jahre.» Scheint also doch nicht so tragisch zu sein, die Sache mit den Todeskreuzen. Aber Hauptsache, man hat darüber geschrieben.