Schon als Jugendlicher hatte T. M. aus Elfingen AG schütteres Haar. Seine Kollegen hänselten ihn: «Du hast ja eine Glatze!» Der Arzt sagte ihm, der Haarausfall sei genetisch bedingt. Von dieser Art Haarausfall ist jeder achte Mann unter 30 betroffen, ab 50 jeder zweite. Ursache ist ein zu aktives Sexualhormon. Es schwächt die Haare.
Ärzte verschreiben in solchen Fällen oft Tabletten wie Propecia oder Alocapil mit dem Wirkstoff Finasterid. Die Hautärztin Bettina Schlagenhauff aus Küssnacht am Rigi SZ sagt: «Es ist das einzige Mittel, das an der Ursache des Haarausfalls ansetzt.» Es verhindert, dass das Sexualhormon die Haare schwächt.
Der Basler Arzt Urspeter Masche rät bei Finasterid zu grosser Zurückhaltung. Das Medikament könne schwere Nebenwirkungen haben wie Potenzprobleme, Verlust des sexuellen Verlangens oder Depressionen.
Schwangere sollten zerbrochene Pillen nicht einmal berühren
Schlimmer noch: Die Schäden können bleiben. Ein internationales Forscherteam von der Feinberg School of Medicine in Chicago untersuchte im vergangenen Jahr 5500 Männer aus Amerika, die Finasterid eingenommen hatten. 222 von ihnen hatten während der Einnahme Potenzprobleme. Bei jedem Dritten dauerten diese an, nachdem sie das Mittel abgesetzt hatten.
T. M. machte dieselbe Erfahrung. Er nahm das Medikament vor rund zwanzig Jahren. Seine Haare wurden zwar etwas dichter, doch das sexuelle Verlangen ging stark zurück, und er bekam Potenzprobleme. Nach sechs Monaten setzte er die Tabletten ab – doch die Probleme blieben. Bis heute: «Meine Sexualität ist nicht mehr so, wie sie war.»
Finasterid ist kein harmloses Mittel. Das zeigen Warnhinweise in der Packungsbeilage: Frauen mit Haarausfall dürfen das Medikament nicht einnehmen. Schwangere dürfen keine zerbrochenen Tabletten berühren. Wenn das ungeborene Kind ein Junge ist, besteht die Gefahr von Missbildungen an den Geschlechtsorganen.
Setzt man die Pillen ab, ist die positive Wirkung weg
Wolfgang Becker-Brüser vom deutschen «Arznei-Telegramm» kritisiert auch, dass das Medikament nur wirkt, solange man es einnimmt: «Der Effekt lässt nach, wenn man das Mittel absetzt.» Man müsste das Medikament daher langfristig einnehmen. «Es ist aber nicht sinnvoll, dass ein junger Mann seine Gesundheit diesen Risiken aussetzt.»
Eine Alternative ist der Wirkstoff Minoxidil. Er ist in Lösungen oder als Schaum erhältlich, den man auf die Kopfhaut aufträgt. «Minoxidil fördert die Durchblutung an der Haarwurzel und kräftigt die Haare», sagt Hautärztin Schlagenhauff. «Es entstehen keine neuen Haare, aber die vorhandenen werden dicker, die Kopfbehaarung dadurch fülliger.» Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen und trockene, schuppige Haut, die juckt.
Nicht empfehlenswert sind Nahrungsergänzungsmittel und Koffeinshampoos wie Alpecin oder das Ginseng Coffeinshampoo von Rausch. Becker-Brüser: Eine «relevante» Wirkung sei nicht zu erwarten.
Die Finasterid-Hersteller bestätigen die Nebenwirkungen und verweisen auf die Packungsbeilagen. Mepha Pharma räumt ein, dass die sexuellen Störungen «auch nach Absetzen des Medikamentes fortbestehen» können. Das könne «sehr belastend» sein.
Der Hersteller des Medikaments Regaine mit dem Wirkstoff Minoxidil schreibt, in Untersuchungen hätten 1 bis 10 Prozent der Anwender eine Hautreaktion gezeigt, jeder zehnte habe Kopfschmerzen bekommen. Das Dermatologische Europäische Forum empfehle für eine Therapie auf der Kopfhaut einzig Minoxidil.
Rausch rät bei genetisch bedingtem Haarausfall vom Gebrauch des Ginseng Coffeinshampoos ab. Der Hersteller von Alpecin betont, der Nutzen sei nachgewiesen. Die Studie hatte aber nur wenige Teilnehmer.
Für T.M. waren am Ende Haartransplantationen die Lösung. Dabei schneidet der Chirurg Hautstreifen aus dem Hinterkopf und verpflanzt sie auf die kahlen Stellen. «Es sieht sehr natürlich aus, deshalb bin ich zufrieden mit dem Resultat», sagt er. Doch die Behandlung ist teuer: Man muss mit Kosten über 3500 Franken rechnen.