Die Welt ist ungerecht. Diese Feststellung musste ein Journalist der Lokalzeitung «Werdenberger und Obertoggenburger» machen. Er klagte seinen Lesern, dass er zur Zürcher Pressevorführung des neuen James-Bond-Films «Spectre» im Hallenstadion nicht zugelassen wurde. In der Folge warb das Blatt dennoch ausführlich für den Streifen.
Die Leser des «Werdenberger und Oberertoggenburgers» erfuhren, was alle andern auf der Welt ebenfalls vorgesetzt erhielten: Der britische Schauspieler Daniel Craig turnt wieder als James Bond über die Leinwand. «Action auf höchstem Niveau», meint der «Blick». «Majestätisches Bond-Spektakel erster Güte» titelte «20 Minuten».
Mit andern Worten: Der Kinobesuch ist Vergnügen pur, zumindest vermitteln die Medien diesen Eindruck. Gemäss der Schweizerischen Mediendatenbank war im Oktober 415 Mal in der hiesigen Presse von James Bond die Rede – und das, bevor der Film ins Kino gekommen war.
Wenn normale junge Frauen abdrücken
Andere Titel versuchen, allzu dick aufgetragene Werbung zu vermeiden, und leuchten scheinbar Hintergründiges aus. So entdeckt zum Beispiel der «Tages-Anzeiger» ein neues Frauenbild in «Spectre». Die Schauspielerin Léa Seydoux verkörpere «kein Superpüppchen oder Flintenweib», «sondern eine ziemlich normale junge Frau, die aber nicht zögert, im richtigen Moment abzudrücken». Wie das normale junge Frauen heutzutage halt so tun.
Mit Kritik halten sich die Journalisten zurück. Sie bedauern aber, dass die Schweiz im Film zu kurz kommt. So ist die TV-Sendung «10 vor 10» enttäuscht, dass im Film nur die österreichischen Alpen zu sehen sind. Auch die «Aargauer Zeitung» trauert lokalpatriotisch: «Wir waren Bond», weil früher Filme wie «Goldfinger» in der Schweiz gedreht wurden. Die eigene Kulisse ist offenbar eine Frage des nationalen Selbstbewusstseins.
Jede noch so kleine Information – beziehungsweise Nichtinformation – ist anscheinend für die Leserschaft wertvoll, solange es um James Bond geht: Die Britin Naomie Harris spielt die undurchsichtige Miss Moneypenny und verrät dem «Tages-Anzeiger»: «James und ich hatten keinen Sex.» Als ob jemand etwas anderes behauptet hätte.
Die «Touring-Zeitung» fand heraus, dass der Parkplatzchef der Filmcrew Schweizer ist, und lässt ihn auf zwei Zeitungsseiten zu Wort kommen. Dazu gibt es weitere zwei Seiten über die tollen Bond-Schlitten Aston Martin und Jaguar. Und die «Basler Zeitung» vermerkt: «Für 007 verzichtete Kate auf den BH.» Kate ist kein neues Bondgirl, sondern die Herzogin von Cambridge, welche die Filmpremiere in London besuchte.
Jeder Film läuft nach dem gleichen Schema
Warum nur erfährt der Leser nichts Schlaues über den Film? Der italienische Schriftsteller Umberto Eco hat die Antwort: Jeder Bond-Film laufe nach dem gleichen Schema ab. Neues gebe es deshalb nicht zu berichten. Das Immergleiche laute so: «007 fasst einen Auftrag»; «Bond lernt den Bösewicht kennen»; «Bond verführt eine Frau»; «Bösewicht quält Bond» und so fort. Also alles schon x-mal dagewesen.
Immerhin heulen nicht alle mit den Wölfen – zumindest im Ausland. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» konstatiert: «Der längste Werbespot der Welt.» Denn: «Im neuen James-Bond-Film jagt wieder ein Markenprodukt das nächste.» Dazu gehören Sportwagen, eine Schweizer Markenuhr, der Anzug eines berühmten Labels und selbst in der Unterhose steckt ein Markenname. Daraus ergibt sich das Fazit: Am liebsten werben die Medien für die Werbung – und das erst noch gratis.
James Bond verdankt es mit ganzseitigen Anzeigen an bester Lage – etwa im «Tages-Anzeiger» und der «Sonntags-Zeitung».