Der 55-jährige Mann war seit 1981 bei einem Elektronikunternehmen im Kanton Zürich angestellt. Er arbeitete als Hilfsarbeiter in der Produktion. Im August 2016 erhielt er die Kündigung. Danach verlangte er vom Betrieb noch 8500 Franken für zu Unrecht gekürzte Gratifikationen.
Der ehemalige Hilfsarbeiter erscheint vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichts Dielsdorf in Begleitung seines Anwalts. Dieser begründet den eingeklagten Betrag so: Sein Klient habe seit Beginn des Arbeitsverhältnisses jährlich eine Gratifikation in der Höhe eines Bruttomonatslohns von 3900 Franken erhalten. Im Arbeitsvertrag stand davon kein Wort. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei aber eine mindestens drei bis fünf Jahre regelmässig ausgezahlte Gratifikation ein fester Lohnbestandteil. «Dies ist hier klar der Fall», sagt der Anwalt. Doch in den Jahren 2012 bis 2015 habe sein Klient nur einen Teil bekommen. «Deshalb stehen ihm jetzt noch 8500 Franken zu.»
«Es war bloss ein freiwilliger Bonus»
Das eingeklagte Unternehmen lässt sich durch einen Anwalt vertreten. Der rund 60-jährige Geschäftsführer ist ebenfalls anwesend. Der Anwalt bestreitet, dass das Unternehmen dem Kläger 34 Jahre lang einen Bruttomonatslohn als Gratifikation ausgezahlt habe. «Es zahlte ihm von 1994 bis 2011 bloss einen freiwilligen Bonus.» Allerdings unter dem Vorbehalt, dass der Kläger diesen für die Zukunft nicht generell verlangen könne und sich die wirtschaftliche Lage der Firma nicht verschlechtere. «Genau dies traf jedoch ein», sagt der Anwalt. «Die Firma ist am Boden und musste mittlerweile den Betrieb einstellen.»
Nach den Plädoyers fragt der Richter den Geschäftsführer und den ehemaligen Angestellten, ob sie an einem Vergleich interessiert sind. Doch die beiden können sich nicht einigen. Deshalb muss der Einzelrichter entscheiden. Er weist die Klage ab. Grundsätzlich sei eine Gratifikation, die so viele Jahre ausgezahlt werde, auch weiterhin geschuldet. Ausnahme: Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens lasse eine solche Gratifikation nicht mehr zu. «Genau dies war hier der Fall: Der Geschäftsgang der Beklagten verschlechterte sich ab 2008 derart, dass sie berechtigt war, die Gratifikation an den Kläger zu kürzen.»
Gerichtskosten entstanden dem Hilfsarbeiter nicht, da arbeitsrechtliche Verfahren bis zum Streitwert von 30 000 Franken kostenlos sind. Aber er muss seinem ehemaligen Arbeitgeber für dessen Anwaltskosten eine Entschädigung von 2500 Franken bezahlen.
13. Monatslohn muss immer bezahlt werden
Eine Gratifikation ist grundsätzlich eine freiwillige Leistung. Nicht so der 13. Monatslohn.
Die Gratifikation ist nur geschuldet, wenn sie zwischen Arbeitgeber und Angestellten vertraglich vereinbart ist. Zahlt aber ein Betrieb mehrere Jahre lang regelmässig Ende Jahr eine Sondervergütung aus, kann diese zum festen Lohnbestandteil werden. Etwa dann, wenn die Jahresvergütung ohne Vorbehalt und Hinweis auf die Freiwilligkeit und jeweils in einer bestimmten Höhe bezahlt wird. Daraus kann eine «stillschweigende Vereinbarung» werden. Und dann ist die Gratifikation nicht mehr freiwillig. Das Gesetz kennt keinen 13. Monatslohn und keinen Bonus. Deshalb ist wichtig: Wo solche Zahlungen abgemacht werden, sollte das zu Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich und präzis festgehalten werden.
Ist im Vertrag nur ein «13. Monatslohn» vermerkt, ist dieser voraussetzungslos geschuldet – also auch dann, wenn es dem Betrieb wirtschaftlich schlecht geht.